Drücken Sie die Eingabetaste zum Suchen

Steiniger Grenzgang: Auf den Spuren des Stoneman Dolomiti

Text: Ralf Glaser | Foto: Ralf Glaser
03.04.2024
In den Sextener Dolomiten im äussersten Osten Südtirols liegen nicht nur die berühmten Drei Zinnen. Sondern auch ein schier unerschöpfliches Mountainbike-Revier voll alpiner Trails – und das Original des «Stoneman Trails» von Ex-Profi Roland Stauder.
Es kommt einem kleinen Seitenhieb gleich. Wenn man gemütlich in der Gondel sitzt, sich das Bergpanorama langsam öffnet, man sich auf die ersten Trails des Tages zu freuen beginnt – und dann aus dem Fenster einen jener Fleissbiker erblickt. Einen von der Sorte, für die die ersten 1000 Höhenmeter ganz selbstverständlich auch mit zur Tour dazugehören. Und wenn dann solch ein Jemand, wie Roland Stauder in diesem Moment, nur eine Cappuccinolänge nach einem selbst locker pedalierend an der Bergstation eintrifft – ja, da fragt man sich schon, ob der Mountainbike-Sport in den letzten Jahren wirklich eine so gute Entwicklung genommen hat. Angesichts eines zähen Hundes wie Roland ist die Frage nicht ganz unberechtigt, ob man sich noch mit Fug und Recht «Mountainbiker» schimpfen darf.
«Die Anstiege bei uns sind lang und oft ziemlich steil. Wer das nicht täglich trainieren kann, kommt hier schnell ans Limit», wiegelt Roland ab, und sticht damit zugleich das Messer tiefer in die Wunde. «Für unsere Gäste ist es gut, dass die Seilbahnen in der Drei-Zinnen-Region allesamt problemlos Bikes transportieren.» Die Seilbahnen aber selbst für seinen Sport zu nutzen? Das ist für Roland höchstens dann eine Option, wenn er mit Gästen unterwegs ist. «Hier im Pustertal sind Mountainbike-Marathons populär», erklärt Roland. «Für die meisten Locals ist schnell bergauf fahren zu können wichtiger als das Bergab!»

Dass dem so ist, dürfte nicht zuletzt mit Roland Stauder selbst zu tun haben. Sicher, seine Profi-Rennkarriere hat der 48-Jährige schon seit geraumer Zeit an den Nagel gehängt. Doch mit seinem Gewinn des Gesamtweltcups 2003 über diverse Erfolge bei der Transalp-Challenge, der Crocodile Trophy bis hin zum heimischen Dolomiten-Mann dürfte der drahtige Pustertaler diverse Generationen an Nachwuchs-Racern inspiriert haben. So auch Elisabeth Gietl, ihres Zeichens Bike-Guidin aus Toblach, gestandene XC-Racerin und zugleich die Dritte im Bunde für die heutige, abenteuerliche Tour.
Wer sein Velo liebt ... kurz vor dem Kniebergsattel kommen auch fitte Biker wie Roland und Elisabeth kurz an ihre Grenzen.
Foto: Ralf Glaser
Zwei Mountainbiker schieben einen Trail hinauf.
Wer sein Velo liebt ... kurz vor dem Kniebergsattel kommen auch fitte Biker wie Roland und Elisabeth kurz an ihre Grenzen.
Ein Panorama zum Niederknien. In den zentralen Dolomiten stehen berühmte Berge Spalier – allen voran die Drei Zinnen.
Foto: Ralf Glaser
Eine Mountainbikerin blickt auf das in der Ferne liegende Bergpanorama.
Ein Panorama zum Niederknien. In den zentralen Dolomiten stehen berühmte Berge Spalier – allen voran die Drei Zinnen.

Die Essenz des Stoneman

Bei aller Kondition und alpiner Erfahrung, die sich in dieser Gruppe sammelt, sind heute ein paar Sorgenfalten angebracht.   Der Himmel über den Südtiroler Dolomiten strahlt blau und die Fernsicht ist so gut, wie man es sich Ende September nur erhoffen kann. Andererseits hat erst vor zwei Tagen ein Tiefdruckgebiet die Dolomiten in ein Wintermärchen aus Schnee, Eis und Fels verwandelt. Zumindest oberhalb der Zweitausendmetermarke – aber genau dort wollen wir hin. Auf dem Programm steht mit der Demuth-Passage der alpinste und fahrtechnisch anspruchsvollste Abschnitt von Roland Stauders Stoneman Trail.  Im alpinen Gelände ist ein kleines Schneepaket  selbst im Hochsommer nichts Ungewöhnliches. Doch im Normalfall ist der Spuk meist schnell wieder vorbei.  An diesem Morgen liegen die Temperaturen an der Bergstation der Helm-Seilbahn jedoch nur wenig oberhalb des Gefrierpunktes. Und je höher wir kommen, desto klarer wird, dass das Wort «angezuckert», wie der Karnische Grenzkamm bei Sonnenaufgang aus dem Tal heraus erschien, zum blanken Euphemismus gefriert. Immerhin: Gegen den schneidenden Wind hilft eine schneidige Pace. Und die legen Roland und Elisabeth vor – die Wärme in der Stube der Sillianer Hütte lockt.

«Die Idee beim Stoneman Trail war, den Leuten eine Race-Challenge zu bieten», erzählt Roland wenig später bei einer dampfenden Tasse Tee. «Aber ohne den Rennstress, wie er bei Marathons an der Tagesordnung ist. Der einzige Unterschied zu einem Marathon: Die Leute müssen den Stoneman Trail komplett fahren, um ihre Finisher-Trophäe zu ergattern. Eine Kurzstrecke gibt es nicht!» Das Konzept für diesen Spagat ist denkbar einfach. Satte 120 Kilometer, gespickt mit 4000 Höhenmetern Anstieg, misst der Parcours des Stoneman Dolomiti. Dort finden sich an neuralgischen Punkten der Strecke Kontrollstellen, an denen sich die im Finisher-Package befindliche Stempelkarte abstempeln lässt. Ob die Aspiranten die komplette Strecke dann aber in einem, in zwei oder gar in drei Tagen absolvieren, bleibt deren Ehrgeiz und Leistungsfähigkeit überlassen. Je nachdem, wie schnell jemand die komplette Strecke abspult, wird die Stoneman-Trophäe in Gold, Silber oder Bronze überreicht. Ob damit nicht der Manipulation Tür und Tor geöffnet ist? «Ach, die Kontrollpunkte einzeln anzufahren, wäre auch nicht weniger anspruchsvoll, als die komplette Strecke zu kurbeln», winkt Roland ab. «Und die Trophäe soll ja nur Motivation sein, sich zu einer Höchstleistung zu pushen. Mit Schummeleien würde man sich nur selbst betrügen.»
Die alpinen Trails der Demuth-Passage sind fahrtechnisch nicht zu kompliziert. Aber sie sind oft schmal und ausgesetzt.Vorsicht!
Foto: Ralf Glaser
Zwei Mountaunbiker auf einem steinigen Trail.
Die alpinen Trails der Demuth-Passage sind fahrtechnisch nicht zu kompliziert. Aber sie sind oft schmal und ausgesetzt.Vorsicht!

Balanceakt auf der Grenze

Dass man sich mit Schummelei auch etwas entgehen liesse, wird nach der Pause klar. Schon kurz nach der Sillianer Hütte verengt sich der Weg, und verlangt nach voller Konzentration. Nicht nur, dass eine Eiskruste die schattige Bergflanke überzieht, die teils schon aufzufirnen beginnt, teils noch bockhart gefroren ist. Gleichzeitig blinzelt rechterhand ein Abgrund, der kaum Raum für Fahrfehler lässt. «Hier ist die letzte Chance, die Tour abzubrechen», kommentiert Roland einen knappen Kilometer hinter der Hütte, und zeigt auf einen Trail, der unterhalb der Holbrucker Spitze nach unten zackt. Offenbar einer jener Militärwege aus dem Ersten Weltkrieg, wie sie hier nicht selten sind. «Richtig ausgesetzt ist die Demuth-Passage nur auf den ersten zwei, drei Kilometern. Aber anspruchsvoll bleibt es die ganze Zeit», warnt Roland. «Vor allem ist man die ganze Zeit nah am Grat des Karnischen Grenzkamms. Das Wetter sollte schon stabil sein. Sonst kann es hier oben ungemütlich werden!»

Die Verhältnisse sind an diesem Tag sicher nicht optimal. Doch wir entscheiden uns gegen den Abbruch zum Glück! Was folgt, ist ein 17 Kilometer langes, ununterbrochenes Singletrailfest mit wenigen giftig-verblockten Schlüsselstellen, vielen Flowpassagen und atemberaubenden Gegenanstiegen. Spektakulär ist aber auch das Panorama: Gegenüber ragen markant die Nordwände der Drei Zinnen aus einem Meer von Felszacken. Immer wieder passieren wir Bergseen, schlängeln uns an Stellungen und halb verfallenen Schützengräben vorbei. Kaum zu glauben, dass in dieser so friedlichen Landschaft vor wenig mehr als 100 Jahren im Gebirgskrieg erbittert gekämpft wurde. Aber genau das war der Fall. Als das Königreich Italien 1915 in den Ersten Weltkrieg eintrat, wurde dessen bis dato Verbündeter Österreich-Ungarn eiskalt erwischt. Praktisch die kompletten österreichischen Truppen waren an der russischen Front gebunden. Für die Verteidigung der Südgrenze der eigenen Heimat waren kaum noch Männer vorhanden. Es schlug die Stunde der «Standschützen». Alte, oder noch nicht wehrpflichtige Männer, meist Mitglieder von Schützengilden, besetzten in den Dolomiten Stellungen auf den Bergkämmen und verschanzten sich dort. Vorausgesetzt, eine solche Stellung wurde mit Nachschub und Munition versorgt, liess sie sich mit den damaligen militärischen Mitteln kaum noch einnehmen. Und so wurden in den Dolomiten, wie überall im Ersten Weltkrieg, drei Jahre lang mit sinnlosen Sturmangriffen Menschenleben zu Zehntausenden verheizt. «Praktisch das gesamte Wegenetz hier oben wurde in diesen drei Jahren angelegt, um die Stellungen auf beiden Seiten der Front mit Nachschub zu versorgen», erklärt Roland. «Ironie des Schicksals: Ohne den Krieg würden wir Biker hier keinen Fuss auf den Boden bringen!»

Spätsommer? Ein Panzer aus Firnschnee und Eis verleiht den alpinen Trails der Demuth-Passage nochmals zusätzliche Würze.
Foto: Ralf Glaser
Zwei Mountainbiker auf einem Trail, der von Schnee bedeckt ist.
Spätsommer? Ein Panzer aus Firnschnee und Eis verleiht den alpinen Trails der Demuth-Passage nochmals zusätzliche Würze.
Fully empfohlen. Zwar sind nur wenige kurze Passagen wirklich fahrtechnisch anspruchsvoll, doch grobes Geröll lässt Federweg ratsam erscheinen.
Foto: Ralf Glaser
Zwei Mountainbiker fahren einen Höhenweg entlang.
Fully empfohlen. Zwar sind nur wenige kurze Passagen wirklich fahrtechnisch anspruchsvoll, doch grobes Geröll lässt Federweg ratsam erscheinen.

Biken am Alpenwall

Doch die Begriffskombination «Militär – Mountainbike» begleitet uns auch am nächsten Tag. Von Toblach aus kurbeln wir über eine schmale Bergstrasse durch einen schon leicht gelb leuchtenden Lärchenwald. 700 Höhenmeter am Stück sind für Roland und Elisabeth nicht der Rede wert. Normalsterbliche freuen sich über eine kleine Abfahrt, um die Beine wieder locker zu bekommen – dann steht die zweite Portion an, der Anstieg über die Militärstrasse zum Marchkinkele. Feindseligkeit war auch hier das Motiv für den Bau. Und doch stammt das Wegenetz am Grenzberg zum benachbarten Österreich aus der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen. Seinerzeit war Südtirol als Kriegsbeute an Italien gefallen. Als die Faschisten die Regierungsmacht übernahmen, begann man alsbald eine Invasion aus Deutschland zu befürchten. So gab Mussolini den Befehl zum Bau des «Alpenwalls», einem System aus Militärwegen, Artilleriestellungen, Bunkern und Kasernen, das die neue Nordgrenze Italiens sichern sollte. Noch bis in die Siebzigerjahre hinein wurde diese Infrastruktur von Grenztruppen genutzt. Heute ist die Hauptstrasse zum Marchkinkele einer der Dreh- und Angelpunkte in Roland Stauders Stoneman Dolomiti. Warum dem so ist, wird spätestens am höchsten Punkt der Tour klar. Nach einem langen, aber gleichmässigen Anstieg über weitere 700 Höhenmeter öffnet sich an der Stoneman-Stempelstelle ein Panoramablick, der die Augen tränen lässt. Dass die Drei Zinnen der Region ihren Namen gaben, und dass die gesamten Dolomiten im Jahr 2009 zu Recht zum Unesco-Weltnaturerbe erklärt wurden, wird bei diesem Anblick wohl niemand anzweifeln. Genauso wenig, dass der Trail zur Silvesteralm, der nun zu unseren Füssen spektakulär durch den kargen Berghang zackt, die Mühe des Aufstiegs mehr als wert war. Viele Stempel haben wir in diesen zwei Tagen nicht gesammelt. Selbst  der Gewinn der bronzenen Stoneman-Trophäe liegt noch in weiter Ferne. Doch  angesichts der Erlebnisse der letzten Tage steigt die Motivation, beim nächsten Besuch sich die fehlenden Höhenmeter zu erarbeiten und in den Genuss der verbleibenden Trails des Stoneman Dolimiti zu kommen.
Seine Rennkarriere hat Stoneman-Macher Roland Stauder an den Nagel gehängt. Trotzdem sitzt das Südtiroler Urgestein praktisch täglich auf dem Bike.
Foto: Ralf Glaser
Mountainbiker Roland Stauder macht eine Pause
Seine Rennkarriere hat Stoneman-Macher Roland Stauder an den Nagel gehängt. Trotzdem sitzt das Südtiroler Urgestein praktisch täglich auf dem Bike.

Stoneman Dolomiti: Drei-Zinnen-Region

Charakter
Die Drei-Zinnen-Region rund um Sexten und das Hochpustertal bietet zahlreiche Biketouren aller Schwierigkeitsgrade, von anfängertauglich bis hochalpin. Seit einigen Jahren befördern sämtliche Seilbahnen vor Ort problemlos Mountainbikes, sodass sich diverse Touren auch konditionell entschärfen lassen. Allerdings sind die Höhenunterschiede auf den meisten Touren beträchtlich, sodass der konditionelle Anspruch der meisten Touren nicht zu unterschätzen ist.

Ideales Bike
Vor Ort sind Mountainbike-Marathons sehr populär, viele der Locals sind nach wie vor mit Hardtails unterwegs. Wegen des häufig anzutreffenden, groben Dolomiten-Schotters ist aber ein Fully anzuraten. Mit einem Downcountry-Fully mit rund 120 mm Federweg ist man meist gut gerüstet. Auf den alpineren Touren ist ein Allmountain-Bike mit 150 mm Federweg anzuraten.

Saison
Die lohnendsten Touren vor Ort berühren die 2000-Meter-Marke oder gehen darüber hinaus. Hier ist bis in den Mai hinein mit Altschneefeldern zu rechnen. Die ideale Tourenzeit beginnt daher im Mai. Im Herbst darf man bis Ende Oktober oder gar in den November hinein mit stabilen Schönwetterphasen rechnen. Die Seilbahnen laufen überwiegend von Anfang Juni bis Mitte Oktober.

Übernachten
Vor Ort haben sich zwei Betriebe auf Mountainbiker spezialisiert und bieten geführte Touren, Bike-Garage, Waschplätze, Test- und Leihbikes, und was unsereins an Serviceleistungen beansprucht. 


Weitere Bikehotels in Südtirol: bike-holidays.com

Guideing
Vor Ort bieten drei Bikeschulen ein festes Wochenprogramm an:

Events
Dolomiti Superbike, 13./14. Juli 2024
Einer der härtesten Mountainbike-Marathons der Dolomiten, mit drei Distanzen (60, 85, 123 km / 1750, 2360, 3400 hm) 
plus eine E-Bike-Wertung.

Die Einschreibung ist offen: dolomitisuperbike.com

Stoneman Trail
Alle Infos zum «Original Stoneman Trail» 
von Roland Stauder: stoneman.it

Infos: dreizinnen.com

GPX-Daten: LINK

BORN - Newsletter

Mit unserem Newsletter bleibst du top informiert. Alle Informationen zur Anmeldung findest du hier.
Deine Anmeldung war erfolgreich.