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Biketest
11 Downcountry-Bikes

Text: Christian Penning | Foto: Christian Penning
27.05.2021

Ist weniger mehr?

Kann man mit wenig Federweg so richtig Spass haben? Man kann. Ganz gewaltig sogar! Downcountry-Bikes bringen mit tollem Vortrieb und erstaunlichen Abfahrtsqualitäten eine Portion Punk in die verbissen leistungsorientierte XC-Kategorie. Wir haben auf der Worldcup-Strecke in Lenzerheide elf Modelle auf ihre Trail-Performance gecheckt.
Biketest 11 Downcountry-Bikes
Federweg regiert. Je mehr, desto besser – so scheint es zumindest. Doch ist es wirklich das, was ein gutes Mountainbike ausmacht? Dreht sich tatsächlich alles nur ums «down»? Kletterfreudige und sprintstarke XC-Bikes fristen mittlerweile ein Nischendasein als Rennmaschinen für Profi- und Hobby-Racer – und allenfalls können sich noch ein paar Liebhaber für sie erwärmen, die sich auf der Wochenendtour ein bisschen Rennambiente um die Nase wehen lassen wollen. 

Trail-, Allmountain- und Enduro-Bikes sind derzeit in den Shops und auf den Trails deutlich präsenter. Sie seien vielseitiger, argumentieren ihre Anhänger. In der Tat sind Bikes, die nicht mit Federweg geizen, bergab zuverlässige Scorer. Doch gerade Allmountain- und Enduro-Bikes haben auch in puncto Uphill-Qualitäten zugelegt. Raketen auf den Anstiegen sind aber die wenigsten und man wird das Gefühl nicht los, bergauf mit angezogener Bremse unterwegs zu sein. «It’s all about the down …!» Dreht sich tatsächlich alles um die Abfahrt?

Sehnsucht nach Uphill-Flow

Doch rein zeitlich gesehen verbringt man in den Bergen mehr Stunden mit Bergauffahren als mit epischen Downhills. Mountainbikes sollten doch gerade deshalb auch beim Uphill-Kurbeln Spass machen. Auch ohne Motor. Hier kommen Downcountry-Bikes ins Spiel. Eine Kategorie irgendwo zwischen Cross-Country-Racer und Trailbike. Wenig Gewicht, wenig Federweg, moderne Geometrie – mehr Fahrspass? Das versprechen zumindest die Bikehersteller. Oder steckt dahinter nur ein Marketing-Trick, Fullys mit wenig Federweg wieder mehr ins Rampenlicht zu schieben? Denn im Grunde ist der Begriff «downcountry» ein Widerspruch in sich. «Down» klingt nach Downhill, «country» nach Uphill-Maschine mit XC-Qualitäten.

Als Verfasser dieser Zeilen schwinge ich mich seit rund 30 Jahren auf Mountainbikes. Die vergangenen Jahre habe auch ich vorwiegend auf Untersätzen mit 140 Millimeter Federweg oder mehr gesessen. Und dabei habe ich fast vergessen, wie geil es sein kann, auf einem Bike zu sitzen, das so spritzig ist, dass es tatsächlich Laune macht, mit Speed den Berg hinaufzuscheuchen. Auf flowigen Trails das spielerische Handling zu geniessen, auf etwas ruppigeren Wurzeltrails den Untergrund wirklich zu spüren. 

Schaut man sich die Ausstattung der Testkandidaten näher an, ist schnell klar: Die meisten Downcountry-Bikes sind auf Vielseitigkeit getunte Race-Fullys – etwas mehr Federweg (zumindest an der Gabel), robustere, etwas gröber profilierte Reifen, Vario-Stütze, ein etwas breiterer Lenker, ein kürzerer Vorbau und damit eine aufrechtere Sitzposition. Einige der Bikes, wie das BMC Fourstroke LT, das Orbea Oiz M Team oder auch das Mondraker F-Podium DC, stammen aus der gleichen Entwicklungslinie wie die im Worldcup eingesetzten XC-Heissblüter. Jedoch sind die Rahmengeometrien etwas angepasst, die Lenkwinkel sind im Vergleich etwas flacher. Das macht die Bikes laufruhiger und auf steilen, ruppigen Abfahrten weniger nervös. Die abfahrtsorientierte Ausstattung schlägt sich natürlich auch auf der Waage nieder. Insgesamt haben sich die Hersteller aber einiges einfallen lassen, runde Gesamtpakete abzuliefern. Einige der Testkandidaten sind mit einem Gesamtgewicht um oder leicht unter elf Kilogramm sehnige Leicht-Athleten mit beachtlicher Uphill-Performance. So jedenfalls die Theorie. Andere wiederum nähern sich der Downcountry-Kategorie als Enduro-light.
Biketest 11 Downcountry-Bikes

Konstruktion: Rahmen mit XC-Genen

Ob die Bikes tatsächlich so vielseitig sind, wie die Hersteller versprechen, soll sich auf dem XC-Worldcup-Kurs im Bike Kingdom Lenzerheide zeigen. Ist die Kategorie tatsächlich eine Bereicherung oder macht sie die Entscheidung für ein neues Bike nur noch komplexer? Der Worldcup-Kurs bietet alles, was einen auch auf anspruchsvollen Biketouren oder auf den Hometrails im Mittelland erwarten kann: fiese Rampen bergauf, flowige Passagen, knackige Wurzelteppiche rauf und runter, Felspassagen und ein paar knackige Sprünge und Drops. Schnell kristallisiert sich heraus, dass sich die Hersteller auch innerhalb der neuen Kategorie deutliche Interpretationsspielräume lassen. So fühlt man sich auf dem BMC Fourstroke LT oder dem Orbea Oiz wie am Start eines Cross-Country-Rennens, ist selbst an grausam steilen Rampen motiviert, seinen Untersatz noch mehr voranzupeitschen. Andere Testkandidaten dagegen, wie das Giant Trance X Advanced Pro 1 oder das Superior Team XF 999 TR, erinnern eher an Trail- oder Allmountain-Maschinen. Sie gehen ordentlich bergauf, machen aber am meisten Spass auf welligen Flowtrails und auf Abfahrten.

Uphill: Endlich wieder Gas geben

Zurück in Lenzerheide: In einer weiten Schleife zieht sich der nächste Anstieg durch den Wald. Die meisten der Testkandidaten lassen sich bergauf leichtgängig pedalieren. Da vergisst man glatt, dass es gleich ums Eck auch die Gondel zum Bikepark gäbe. Schnell findet man den Rhythmus – und hat überhaupt nicht das Bedürfnis, eine Aufstiegshilfe in Anspruch nehmen zu wollen. Man jagt den Kollegen hinterher – und schnell erwacht ein Ehrgeiz wieder, am Berg anzutreten oder auf der Abfahrt vorbeizuziehen. Natürlich sind die Downcountry-Modelle nicht ganz so durchtrainierte Fliegengewichte wie ihre Pendants aus dem XC-Worldcup. Aber wir heissen ja auch nicht Schurter, Flückiger, Absalon oder Sarrou. Trotzdem lassen das BMC Fourstroke LT One, das Koba Sentiero oder das Orbea Oiz M Team beim Antritt und auf den Uphills nichts anbrennen. Mit 11,2, 10,5 und 11,0 Kilogramm sind diese Bikes die leichtesten im Test. Deutlich mehr Power erfordern die Zwischensprints mit dem Giant Trance X Advanced Pro 1 und dem Superior Team XF 999 TR. Gewichtsmässig sind diese Modelle mit 12,4 bis 13 Kilogramm in einer anderen Liga. Ebenso die restlichen Testkandidaten, die in Sachen Vortrieb im Mittelfeld liegen. Sie sind mit 12 bis 13 Kilogramm nicht nur spürbar schwerer als die leichtesten Modelle, auch die Geometrie erlaubt nicht ganz so effizientes Treten. Hilfreich dabei: Bei mehreren Modellen lässt sich mittels Flip-Chip die Rahmengeometrie variieren – beim Trek Top Fuel, beim Giant Trance X und beim Santa Cruz Tallboy. Eine entscheidende Rolle beim Vortrieb spielen zudem die Laufräder. Je leichter diese sind, desto geringer ist das Trägheitsmoment, das beim Antritt überwunden werden muss. Das Koba 29-Sentiero-C3, das BMC Fourstroke LT One, das Trek Top Fuel und das Orbea Oiz M Team rollen auf verwindungssteifen, leichten Carbon-Felgen.

Downhill: Freude am Fahren

Doch beim Test dieser Kategorie ging es uns mindestens zu 50 Prozent auch um das «down» und den Fahrspass bergab: antreten, abziehen, das Bike schnell von Kurve zu Kurve legen. Ja, diese leichten Bikes machen trotz – oder gerade wegen – des wenigen Federwegs Spass. Die modernen Geometrien und grösstenteils potente Fahrwerke erlauben, auch mit 120 Millimeter Federweg die grobe Linie, ohne dass bei hohem Tempo Unruhe aufkommt. Klar ist, dass Feedback vom Untergrund anders und die Vibra-
tionen selbstverständlich stärker spürbar sind als bei einem Fully mit 150 Millimeter Federweg. Aber vor allem im mässig technischen Gelände machen die Bikes enorm Spass. Sucht man nicht gerade die radikale Enduro-Raceline, lassen sich die Downcountry-Bikes auch in verblocktem Terrain sportlich bewegen und bieten gegenüber Bikes mit mehr Federweg dank ihrer hohen Agilität teilweise sogar einen Vorteil. Sie lassen sich reaktionsschneller manövrieren. In der Downhill-Wertung überzeugen das Giant Trance X sowie das Yeti SB 115 und das Santa Cruz Tallboy die Tester. Fast alle Testbikes sind mit Reifen ausgestattet, die mit guten Abfahrtsqualitäten und griffigem Profil überzeugen. Die Reifenbreite bei den Testmodellen lag überwiegend zwischen 2.3 und 2.4 Zoll. Auch hier interpretieren die Hersteller die Kategorie unterschiedlich, die einen mit etwas breiteren XC-Pneus, die anderen mit arg grober Enduro-Bereifung. Das schmälert teils den Vortrieb und treibt das Gewicht nach oben. Dafür erhöhen vor allem die Reifen das Einsatzspektrum für Nichtrennfahrer deutlich. Wie auch bei anderen Kategorien entscheidet der  Einsatzbereich, aber vermutlich vor allem die persönlich Vorliebe über die Reifenwahl.
Biketest 11 Downcountry-Bikes
«Downcountry macht Bikes mit wenig Federweg plötzlich wieder sexy – sie mischen mit einer gesunden Portion Punkrock die Party der Wattmesser und Grammzähler auf. Party on!»

Fazit: spritzige Spassmaschinen

«Downcountry» ist mehr als nur eine kreative Wortschöpfung. Diese Kategorie schliesst die Lücke zwischen Rennsport und Hometrail mit agilen  und vortriebsorientierten Bikes, die vor allem bergauf eine fast schon vergessen geglaubte Leichtigkeit aufkommen lassen. Schnell antreten und ein paar Strava-Kronen sammeln – ohne sich dabei in die enge Lycra-Bibshort zu zwängen. Bikes, die Lust auf höhenmeterreiche Touren machen, ohne bergab auf moderaten Trails mit Fahrspass zu geizen. Natürlich ist das Fahrgefühl im Vergleich zu Trail- und Enduro-Bikes direkter und ungefilterter. Doch flowige und mittelschwere Trails stecken die Fahrwerke problemlos weg. Wobei zum Beispiel das Giant Trance X und das Santa Cruz Tallboy CC deutlich Richtung Trail- und Allmountain-Bike tendieren. Gerade für Fahrer, die nicht aus dem XC-Rennsport kommen, sind die serienmässig montierten Vario-Sattelstützen ein Traum. Sie runden das auf Fahrspass ausgelegte Feeling ab.

So haben wir getestet

Testtrails und Testteam

Vielseitigkeit war gefragt beim Test der Downcountry-Bikes. Wir testeten die Bikes auf der Worldcup XC-Strecke im Bike Kingdom Lenzerheide. Auf dem Programm standen flowige Passagen und knackige Uphill-Sektionen ebenso wie schnelle Wurzel-Downhills, die die Fahrwerke ans Limit bringen. Waldboden wechselte mit Wurzelteppichen und Wiesenstücken. Auch ein paar felsige Passagen ergänzten die Fahreindrücke auf dem Kurs. Jeder Tester hielt seine Eindrücke in einem Testbogen schriftlich fest. Nach Testende wurden die Ergebnisse in der Testerrunde diskutiert und analysiert. Im Mittelpunkt stand weniger der direkte Vergleich der Bikemodelle, als vielmehr eine möglichst treffende individuelle Analyse der Fahreigenschaften jedes Bikes. Das vierköpfige BORN-Testteam bestand aus unterschiedlichen Fahrertypen (Marathon- und Enduro-Racer, Bike-Guides, Tourenfahrer).

Test-Basislager Bike Kingdom Lenzerheide

Der Test wurde in Kooperation mit dem Bike Kingdom Lenzerheide durchgeführt. Basislager war das Bike- und Sporthotel Revier Mountain Lodge Lenzerheide an der Talstation der Rothorn Gondelbahn. Die Worldcup- und WM-erprobte Strecke bot ideale Testbedingungen. Neben Lenzerheide zählen die Regionen Arosa, Chur und Churwalden zum Bike Kingdom. Die Test-Runs fanden auf der Worldcup-XC-Strecke statt. Doch Lenzerheide bietet Bikern noch viel mehr: Downhill-Spass für alle Könnensstufen im Bikepark Rothorn (Red Peak). Alternative: die mit zwei Sesselliften erschlossenen Trails am Piz Scarlottas (Western Summits). Und auf der Rothorn-Seite einen Trail ab dem Parpaner Weisshorn bis zur Mottahütte. Zusätzlich erweitert die Sesselbahn Weisshorn Speed die Möglichkeiten für Biker – ein zusätzlicher Zacken in der Krone des Bike Kingdom.
Mehr Infos über Trails, Touren, Shuttles, Lifte, Guides, aktuelle Streckenbedingungen, Wetter und vieles mehr gibt es auf der Bike Kingdom App für Smartphones.

bikekingdom.ch
arosalenzerheide.swiss
lenzerheide.revierhotels.com

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