Graubünden investiert bereits in einer dritten Projektphase in die Koexistenz-Kampagne
«Fairtrail». Welches sind die aktuellen Herausforderungen? Kommen die Botschaften an der
Basis an? Und zeigen sie Wirkung? BORN hat Projektleiter Kevin Suhr zu einem klärenden
Gespräch eingeladen.
Bergab geht's, wenn’s mit der Toleranz nicht mehr bergauf geht», heisst es bei Fairtrail. Bitte erkläre …
Der zum Denken anregende Slogan erinnert uns an gesellschaftlich verankerte Grundsätze. Nett zueinander sein, Respekt zeigen und Toleranz gegenüber anderen üben. Weil Fairtrail davon ausgeht, dass dieser «common sense» uns allen innewohnt und das Berufen auf Grundsätze legitim ist, plakatieren wir neu: «Isch jo logisch»
Die Wurzeln von Fairtrail liegen bereits einige Jahre zurück. Wie kam es damals zur Initiative?
Die Ursprünge liegen bereits im Jahr 1994 in einem Dossier des Vereins Wanderwege Graubünden. Mit der Aussage «Nebeneinander nicht Gegeneinander» sensibilisierte man erstmals dafür, dass die Weginfrastruktur nicht nur von Wandernden genutzt wird. Diverse Projekte von Graubünden Bike, Graubünden Hike und Graubünden E-MTB verfolgten seither diesen Weg. Die Marke Fairtrail besteht seit 2019.
Für das Jahr 2024 hat man die Kampa[1]gne neu positioniert. Welches sind die aktuellen Ziele?
Die Kernziele wurden erweitert. Denn Wegnutzungskonflikte zwischen Wandernden und Bikenden – das zeigen die Zahlen – sind rückläufig. Neu stellt die Kampagne auch Aspekte der gesamten Umwelt und weitere Einflussfaktoren ins Zentrum. Es wird versucht, die komplexen Verknüpfungen zwischen Natur, Land- und Forstwirtschaft aufzuzeigen. Zaundurchgänge, Umgang mit Herdenschutzhunden, Wegsperrungen und weitere Themen sind hinzugekommen. Ein weiter gefasster Ansatz und das Einbinden aller Involvierten sollen uns helfen, ein Verständnis für die Zusammenhänge zu entwickeln. Mit dem Ziel für mehr gegenseitige Akzeptanz.
Du leitest die Kampagne seit dem Frühling 2024. Wie ist das Projekt organisiert?
Auftraggeber von Fairtrail ist das Tiefbauamt Graubünden als Fachstelle Langsamverkehr. Die Firma Allegra ist mit meiner Person für die Gesamtprojektleitung mandatiert. Meine Hauptaufgaben sind u. a. die zweckstiftende Budgetverwaltung, das Stakeholder Management und das Vorwärtsbringen des Projekts.
Was ist ein «Fairdinand» und wie kommt man zu dieser Rolle?
Das sind all die Menschen, die uns auf den Trails dabei unterstützen, unsere Ziele umzusetzen. Am besten, man meldet sich direkt bei Fairtrail. Wir brauchen offene, gerne in Kommunikation tretende Botschafter mit Wissen und Ortskenntnis in ihrer Region. Sind diese Punkte gegeben, bilden wir diese Personen in verschiedenen Bereichen aus. Wie führe ich gute Gespräche? Interessantes Hintergrundwissen wird vermittelt. Anschliessend folgen die Einsätze im Gelände.


Das Fazit im Richtungsdschungel ganz unten. Respekt.
Und wie sieht so ein Einsatz aus?
Einsatzort und Zeitpunkt sind geplant und an das Aufkommen vor Ort gekoppelt. Stets ist man zu zweit unterwegs. Einer zu Fuss, der andere mit dem Velo. Man redet mit den Gästen, holt Meinungen ab und verteilt Give-aways. Die Aufforderung zur Onlinebefragung und die daraus resultierenden Rückmeldungen fliessen in die Evaluation ein. Zusammen mit den persönlichen Eindrücken entsteht ein Rapport, der persönliche Eindrücke sowie die Gästewahrnehmung abgleicht. So können Massnahmen abgeleitet werden.
Welche Themen treiben Wegnutzende um?
Wir alle suchen eindrückliche Erlebnisse, wollen Emotionen und Erinnerungen. Dabei sind wir nicht allein. Meistens haben wir auch positive Begegnungen. Führend in der Liste der Negativerfahrungen ist das «Erschrecken» aufgrund unterschiedlicher Tempos. Das kann zu Kippmomenten führen.
Ist es nicht schwierig, eine Haltung und Begegnungskultur zu fördern, ohne dabei mahnend zu wirken?
Hier stehen Fairdinands, aber auch sonstige Wegnutzer vor einer grossen Herausforderung. Wir verzichten deshalb bewusst auf «Du sollst! Du musst! Du darfst!», sondern versuchen zu sensibilisieren. Am besten mit Botschaften, mit denen man sich identifizieren kann.
Gibt es dafür ein Beispiel?
Positive Erfahrungen brachte uns das Arbeiten mit Fun Facts. Wusstest du zum Beispiel, dass eine Kuh täglich 70 bis 80 Kilogramm Grass frisst? Rechnet man das in Kalorien und münzt das auf den Menschen um, so ässen wir Menschen 22'000 Traubenzucker. Ob diese Info nun überlebenswichtig ist oder nicht, spielt dabei keine Rolle. Es geht darum, eine Beziehung zu schaffen zwischen Menschen, der Natur und der Umwelt. Bedürfnisse müssen ernst genommen werden. Alle Akteure gehören miteinbezogen. Wenn es um die Grundeinstellung geht, gibt es keine Abkürzungen. Es braucht einen langen Atem.
Kantonal geförderte Projekte wie die Fairtrail-Kampagne werden auch an ihrem Erfolg gemessen. Was hat die Kampagne vorzuweisen?
Die jährlich kantonal durchgeführte Reklamationsanalyse bringt konstant sinkende Zahlen. Wir stützen uns auf die Gästebefragungen, die aktiv angegangen werden. Gemäss dem Tenor aus qualitativen und informellen Gesprächen mit Touristikern, Gemeindevorständen und Guides ist es entspannter als früher. Auch sind Tendenzen in den Sozialen Medien zu sehen. Fairtrail ist dabei ein Puzzleteil im Ganzen. Die Kampagne erhält Rückendeckung vom Bauernverband, von Wanderwege Graubünden und weiteren Akteuren. Wir sehen das als Zeichen der Wirksamkeit.
Auch andere Kantone, zuletzt das Wallis, oder auch die Zentralschweizer Kantone sind auf die Kommunikationsstrategie von Fairtrail aufgesprungen. Macht das Projekt Schule?
Ja. Unsere Wissensbasis und die gesammelten Erfahrungen werden angefragt und geteilt.
Ist es so, dass Themen und Probleme regional unterschiedlich sind?
Wir sehen viele Parallelen, aber auch Unterschiede. In den Naherholungsgebieten, nahe dem urbanen Raum, wird mit Aktivitäten auch in die Dämmerungszeiten gedrängt. Klassische Aktivzeiten des Wildbestandes. Oder unbewilligter Trailbau, wo unkoordiniert Hand angelegt wird. In reinen Tourismusregionen überwiegen andere Themen. Es wird daher versucht, auf unterschiedlichen Ebenen zu kommunizieren
Mit dem Verhaltenskodex der Organisation IMBA oder «Zäme Happy» gibt es weitere Initiativen, die in die gleiche Kerbe schlagen. Worin bestehen die Unterschiede in den Bemühungen und Zielen?
Ich behaupte, die Ziele sind sehr ähnlich. Im Fokus steht die Reduktion der Konflikte. Mit dem Ziel, unsere Infrastrukturen langfristig frei nutzen zu können. Fairtrail funktioniert top down – eine Kampagne für Koexistenz orchestriert vom Kanton. «Zäme Happy» entspringt der Community bottom up und richtet sich spezifisch an Bikende.
Besteht ein gegenseitiger Austausch? Kann man voneinander profitieren? Oder besteht gar eine Rivalität?
Aktuell sind wir daran, den Austausch zu fördern. Auch interkantonal. Ich sehe keine Rivalität. Wir können alle voneinander lernen und ich freue mich, den Austausch zu fördern. Auch darum, um Botschaften zu stärken und weiter zu verankern. Schlussendlich verfolgen wir dieselben Ziele.
Wie lautet dein persönlicher Ratschlag für noch mehr gegenseitigen Respekt auf Trails?
Ich sehe den Schlüssel in der Dankbarkeit gegenüber dem grandiosen und gepflegten Wegnetz, das wir haben. Ich zeige Demut und stelle an ein paar wenigen Stellen meine Eigeninteressen etwas hinten an.
Wie können Mountainbikerinnen und Mountainbiker die Initiative und deren Ziele am besten unterstützen?
Ich meine, durch das Anerkennen, dass wir Gast sind in der Natur. Wanderwegorganisationen sind überwiegend die Unterhaltenden, und die Arbeit verdient Respekt auch durch meine Fahrweise. Mit einer Prise Akzeptanz in der Grundhaltung und wenig Verbissenheit.
Zu guter Letzt – welchen Wunsch sähest du gerne erfüllt?
Dass es Kampagnen dieser Art nicht mehr braucht und wir sowie weitere Generationen rauskönnen, um eine gute und bewusste Zeit zu haben. Frei nach dem Motto: «Isch jo logisch!»