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Quo vadis E-MTB

Text: Felix Böhlken
15.06.2021

Voll leicht oder volle Power?

Mehr Leistung und immer grössere Reichweiten – das E-Mountainbike entwickelt sich
seit Jahren fast nur in diese Richtung. Doch wie viel mehr Power brauchen Biker eigentlich noch?
Und wie könnte sich das E-MTB in Zukunft sonst noch entwickeln?
Die BORN-Redaktion hat sich bei Köpfen der Bike-Branche umgehört.
Viel hilft viel – dieser altbewährten Logik folgen bisher auch die meisten Innovationen bei E-MTBs. Die Antriebe werden immer stärker und bieten mehr Drehmoment, gleichzeitig steigen die Batterie-Kapazitäten und damit die Reichweite. Der Status quo bei E-MTBs: Motoren mit rund 85 Nm Drehmoment, Akkus mit mindestens 500 Wattstunden, gern auch deutlich mehr. Bosch bietet für seinen aktuellen MTB-Antrieb,  Performance Line CX, sogar optional bis zu 1250 Wh Power aus zwei parallel betriebenen Akkus mit an. Das ist sicher sinnvoll für Vielfahrer, die epische Touren zurücklegen und die die mitreissende Leistung dieser starken Motoren beeindruckt. Diese Entwicklung bedeutet aber auch: E-MTBs sind nach wie vor meist ganz schön schwere Brocken, von der magischen 20-Kilo-Marke sind die meisten E-Bikes deutlich entfernt. Denn selbst der leichteste der aktuell angesagten Motoren, Shimanos EP8, wiegt 2,6 Kilo, die Antriebe von Bosch, Yamaha oder Brose noch ein paar Hundert Gramm mehr. Dazu kommen mindestens 2,8 Kilo für den Akku. Reichweite hat eben ihr Gewicht.

Fragt man die Antriebshersteller, sind die erst mal stolz auf das Erreichte. So sagt uns Tamara Winograd, Leiterin Marketing & Kommunikation bei Bosch eBike: «In Bezug auf Gewicht und Leistungsdichte hat sich bei den E-Bike-Antriebssystemen einiges getan. Ein Beispiel ist unsere Performance Line CX, deren Grösse wir im Vergleich zur Vorgängergeneration um rund die Hälfte reduziert haben und auch das Gewicht um rund 25 Prozent auf 2,9 Kilogramm verringern konnten. Das sind bei einer äusserst kompakten Bauweise des Elektromotors enorme Sprünge.» Ähnlich sieht man das bei Shimano, wie Michael Wild, Marketing-Leiter von Shimanos Europa-Importeur Paul Lange, erklärt: «Mit unserem neuen Flaggschiff EP8 haben wir einen Antrieb vorgestellt, den gerade das besonders geringe Gewicht, aber auch sehr kompakte Baumasse auszeichnen.» Er bestätigt aber auch, wie wichtig ein möglichst geringes Gewicht am E-MTB ist. «Ein natürliches Fahrgefühl sollte eine der zentralen Eigenschaften eines E-Bikes sein», findet Wild. «Und ein geringes Gewicht trägt entscheidend dazu bei, dass das Handling und die Fahreigenschaften von E-Bikes denen herkömmlicher Fahrräder möglichst nah kommen.» Aber zugunsten des Gewichts Abstriche bei Leistung und Reichweite machen?  Bei den grössten Motorenherstellern sieht es derzeit nicht danach aus.
Wie viel Power braucht es? Der Fazua-Motor im neuen Trek  E-Caliber leistet «nur» 55 Nm Drehmoment, der Akku  250 Wh. Dafür wiegt der gesamte E-Antrieb gerade einmal 4,6 und das Bike in der Topversion gerade einmal 15 Kilogramm.
Foto: Trek Bikes
Quo vadis E-MTB
Wie viel Power braucht es? Der Fazua-Motor im neuen Trek  E-Caliber leistet «nur» 55 Nm Drehmoment, der Akku  250 Wh. Dafür wiegt der gesamte E-Antrieb gerade einmal 4,6 und das Bike in der Topversion gerade einmal 15 Kilogramm.
Schlaue Power: Die vierte Generation des Bosch Performance Line CX Motors verfügt über eine ausgeklügelte Sensorik.
Foto: Bosch eBike Systems
Quo vadis E-MTB
Schlaue Power: Die vierte Generation des Bosch Performance Line CX Motors verfügt über eine ausgeklügelte Sensorik.

Wie viel Power brauchen E-MTBs wirklich?

Oder doch ein Gegenentwurf? Zuletzt hat Specialized mit dem Turbo Levo SL eindrucksvoll gezeigt, dass der Trend in den nächsten Jahren in diese Richtung gehen könnte. Specialized verzichtet auf den Turbo-Modus und hat vor allem beim Akku abgespeckt: Mit seinen 320 Wattstunden liegt dieser weit unter gängigen Standards. So wiegt dieses E-Fully nur rund 17 Kilo – mit einem auf dem Trail überzeugenden Antrieb. Schon seit Jahren setzt der bayerische Hersteller Fazua auf ähnliches Downsizing, der komplette Antrieb wiegt 4,6 Kilo, neben 55-Nm-Motor und 250 Wh-Akku sind da sämtliche Bauteile mit eingerechnet. Geschäftsführer Fabian Reuter erklärt: «Unser Hintergrund ist sportlich, das Fahrverhalten unseres Antriebs ist natürlich und reaktiv.» Den massiven Schub der Antriebe der Konkurrenz will Fazua gar nicht bieten: «Unser System reagiert auf mehr Druck vom Fahrer mit mehr Unterstützung, das Bike motiviert also ständig, mehr zu treten.»

So wohlwollend viele in der Bike-Industrie über den Hersteller sprechen, diese Idee des «Energy-Bikes», wie Fazua sich selbst in Abgrenzung zum E-Bike positioniert, hat es am Markt schwer. Das bestätigt auch Fabian Obrist, Produktmanager bei Bergstrom: «Im Moment nehmen die meisten Kunden immer den stärksten Motor, den grössten Akku.» Aber Obrist stellt auch fest: «Viele merken jetzt, dass sie diese Leistung und Reichweite gar nicht brauchen.» Fazua-Chef Reuter zitiert dazu gern eine Umfrage, nach der nur fünf Prozent der E-Mountainbiker den stärksten Modus der leistungsstarken Antriebe überhaupt nutzen. Für Shimano lässt Michael Wild durchblicken, dass bei der Leistung mittlerweile eine Grenze erreicht wurde: «Die aktuellen Systemleistungen von 85 Nm sind ausreichend für alle Anforderungen der Kunden. Diese stellt nach unserer Einschätzung eine gute Balance zwischen Kontrollierbarkeit der Leistung, genügend Kraftreserven in allen Fahrsituationen und angemessenen Verbrauchswerten dar.»
«Die Sensorik ist bei E-MTBs heute schon
wichtiger als der Drehmoment.»
Fabian Obrist
Produktmanager & ehemaliger Rennfahrer

Nach wie vor dynamische Entwicklung

Wild nennt einen weiteren Trend, der die Entwicklung über die nächsten Jahren prägen wird: «Insgesamt befindet sich das E-MTB immer noch in einer sehr dynamischen Entwicklungsphase mit einer nach wie vor sehr steilen Innovationskurve. Allerdings lässt sich eine allmähliche Verschiebung von Hardware- zu Software-seitigen Innovationen feststellen.» Konkret heisst das: Mit einer immer besseren Sensorik reagiert der Antrieb immer besser auf die momentanen Anforderungen – und fällt seinem Fahrer dabei immer weniger auf. Ein wesentlicher Punkt, wie Fabian Obrist von Bergstrom aus eigener Erfahrung als Rennfahrer weiss: «Die Rennstrecken sind so technisch, dass die Sensorik heute schon wichtiger ist als das Drehmoment. Viele Rennfahrer sind fast nie auf der höchsten Unterstützungsstufe unterwegs.» Wie wichtig die Sensorik ist, bestätigt auch Tamara Winograd. Bosch verfüge bereits über ein ausgefeiltes Multisensorkonzept samt der dazu passenden Software: «Durch technische Innovationen im Getriebe und Weiterentwicklungen in der Software fahren sich E-Bikes so agil und natürlich wie Fahrräder ohne Elektroantrieb, mit einem deutlichen Plus an Fahrspass.»

Winograd nennt noch weitere Faktoren, die bei künftigen E-Antrieben an Bedeutung gewinnen werden: «Connectivity und Sicherheit. Durch das Smartphone wird das E-Bike immer weiter vernetzt. Die Connected-Biking-Lösungen erweitern das Fahrerlebnis um eine digitale Dimension mit Features wie Navigation, Fitnessdaten oder weiteren digitalen Diensten.» Auch Funktionen wie das E-Bike ABS sehe man sich bei Bosch genau an und überlege, «wie sie sich sinnvoll weiterentwickeln lassen». So prescht Bosch aktuell in Zusammenarbeit mit Fox bei der eSuspension vor: Das LiveValve Fahrwerk passt sich ebenfalls über eine ausgefeilte Sensorik in Millisekunden dem Untergrund an, über das Bosch Kiox-Display können während der Fahrt unterschiedliche Fahrwerkseinstellungen eingestellt werden. ABS und elektronisches Fahrwerk: Daneben wirken Features wie integrierte Navigation fast schon wie kalter Kaffee, werden für die E-MTBs der Zukunft wohl noch wichtiger. Das bestätigt auch Fabian Reuter von Fazua, der prognostiziert: «Das Handy wird in Zukunft die Displays der Hersteller verdrängen.» Warum? Ganz einfach: «Kein selbst entwickeltes Display ist besser als das vom Smartphone!» Er sieht in der Einbindung weiterer Funktionen von etablierten Drittanbietern wie Navigation oder Trainingssteuerung als nächsten logischen Schritt: «Es wird essenziell, Schnittstellen für etablierte Apps wie Komoot oder Strava einzubinden.» Zudem sieht er ein riesiges Potenzial beim Customizing: «Jeder passt sein E-Bike gern an die eigenen Wünsche und Bedürfnisse an – per Smartphone, egal, ob auf dem Sofa oder auf dem Trail.»
Schimano setzt nach wie vor auf eigene Displays, mit mehr oder weniger Zusatzfunktionen und Bluethooth-Verbindung zur eigenen App.
Foto: Schimano
Quo vadis E-MTB
Schimano setzt nach wie vor auf eigene Displays, mit mehr oder weniger Zusatzfunktionen und Bluethooth-Verbindung zur eigenen App.
Der Fazua verzichtet auf ein Display. Alle Einstellungen laufen über die App.
Foto: Fazua
Quo vadis E-MTB
Der Fazua verzichtet auf ein Display. Alle Einstellungen laufen über die App.
Beim neuen Specialized Turbo Levo wandert die «Master Mind Turbo Control Unit» flach aufs Oberrohr. 
Foto: Specialized
Quo vadis E-MTB
Beim neuen Specialized Turbo Levo wandert die «Master Mind Turbo Control Unit» flach aufs Oberrohr. 
Ähnlich wie Shimano setzt auch Bosch auf ein eingenes Display mit Zusatzfunktionen und Bluetooth-Verbindung zur eigenen App.
Foto: Bosch
Quo vadis E-MTB
Ähnlich wie Shimano setzt auch Bosch auf ein eingenes Display mit Zusatzfunktionen und Bluetooth-Verbindung zur eigenen App.

Aufwendiges Display oder minimalistischer Trigger mit LEDs? Das Smartphone wird die Displays der Hersteller verdrängen, prognostiziert zumindest Fabian Reuter von Fazua.

Mehr Vielfalt, mehr Technologie

Nach den Gesprächen mit Entwicklern und Entscheidern ergibt sich ein recht klares Bild, wie das E-MTB in drei oder fünf Jahren aussehen könnte. Neben den E-Bikes mit leistungsstarken Antrieben und grosser Reichweite wird sich eine neue Bike-Kategorie mit kleineren Motoren und leichteren Akkus etablieren, die statt maximaler Unterstützung eher in Richtung «Soft-Assist» abzielt und so die Grenze zwischen E-MTBs und normalen Bikes immer weiter verschwimmen lässt. Bikes wie Specializeds Turbo Levo SL oder mit Fazua-Antrieben deuten diesen Trend schon an. Fabian Obrist von Bergstrom ist sich sicher: «Die Grenze zwischen E-MTB und normalem Bike wird verschwimmen, optisch, aber auch beim Gewicht und Handling.» Für die künftigen Generationen von E-Mountainbikes gilt zudem: Durch bessere Sensoren und eine individuell anpassbare Software werden die Antriebe noch feinfühligere, zur Fahrsituation passende Unterstützung bieten und sich so dem agilen und natürlichen Fahrgefühl normaler Bikes weiter annähern. Die wohl wesentlichste Änderung zielt jedoch auf die immer stärkere Einbindung des Smartphones sowie Apps und Dienste anderer Anbieter wie Komoot oder Strava. Auch Stefan Reuter von Fazua ist überzeugt: «Konnektivität und Customizing werden entscheidend bei zukünftigen E-Bikes.» Mehr Vielfalt, mehr smarte Technologie, noch ausgefeiltere Antriebe: Das E-MTB wird erwachsen und in den nächsten Jahren noch vielfältiger.

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