Die Milch macht's!
Mit Schlauch oder Milch? An dieser Frage haben sich Mountainbiker teils mit religiöser Inbrunst abgearbeitet. Doch die zahlreichen Vorteile von Tubeless-Reifen ist die Diskussion eigentlich obsolet. BORN erklärt, was schlauchloses Fahren so attraktiv macht – und was bei der Montage unbedingt beachtet werden muss.
Pfffttt! – Als begeisterter Mountainbiker ist man mit dem überaus unangenehmen Geräusch eines platt gefahrenen Reifens vertraut, der sich eilig seiner Luft entledigt. Das gilt vor allem für jene, die noch ganz klassisch mit Schlauch im Pneu fahren. Wie oft schon wurde das Offroad-Glück auf der schnellen und steinigen Abfahrt ausgebremst. Hier greift der wesentliche Vorteil des Tubeless-Reifensystems. Es ersetzt den Schlauch mittels einer Dichtmilch, die kleine Löcher und Risse im Reifen blitzschnell wieder verschliesst.
«Bei Tubeless-Reifen ist der Rollwiderstand geringer.»
Silas Obrist, TST-Trading
Doch es geht nicht nur um Pannensicherheit. Tubeless-Reifen können mit einem weit geringeren Luftdruck gefahren werden, was Kurvengrip, Traktion und Fahrkomfort spürbar verbessert. Einem 70-Kilo-Fahrer reichen in einem 29 x 2.35“-Reifen etwa 1.2 bis 1.3 Bar Luftdruck. Schliesslich muss kein Schlauch mehr vor dem Durchschlag auf die Felge geschützt werden. Zudem lassen sich Tubeless-Reifen, weil leichter, besser beschleunigen – ein echter Vorteil auf dem Trail. Um diese Bedeutung weiss Reifenexperte Silas Obrist vom Schweizer Maxxis-Vertrieb TST Trading. «An der Reifenaufstandsfläche, dort also, wo der Pneu beim Fahren auf den Untergrund drückt, entsteht die grösste Walkwirkung, also das regelmässige Einfedern und Sich-Verformen des Reifens», sagt Obrist. «Daraus ergibt sich ein bestimmter Rollwiderstand, der geringer ausfällt, wenn das System nicht zusätzlich mit der Reibung zwischen Schlauch und Reifen arbeiten muss.» Da der Schlauch entfällt, profitiert der Biker von einem deutlich reduzierten Rollwiderstand und besserer Beschleunigung der Laufräder. Nicht nur bergauf schont das die Kräfte.
Weniger Luftdruck, mehr Komfort
Der geringere Luftdruck des Tubeless-Systems hat einen beträchtlichen Einfluss auf die Fahrqualität: Die Reifen, als Kontaktpunkt zum Untergrund, verarbeiten Schläge sensibler, was für mehr Komfort und weniger Ermüdung des Fahrers sorgt. Das ist nicht jedem bewusst, denn viele Biker assoziieren Federung und Dämpfung in erster Linie mit dem Fahrwerk ihres Bikes. Dabei «gelangt die Aufprallenergie bei Sprüngen oder dem Überfahren von Hindernissen, wie Wurzeln, zuerst in die Reifen», erklärt Silas Obrist. Gut also, wenn diese kleinen wie grösseren Schlägen entgegenwirken und so den Fahrer schonen. Damit das funktioniert, müsse die Kombination aus Reifen, Luftdruck und Fahrwerksabstimmung individuell stimmen. «In puncto Reifen empfiehlt es sich deshalb, mit Profil, Luftdruck und der Karkassenstärke zu spielen», ergänzt Obrist.
Thomas Werz
Keine Lust auf Platten:
Auch mit einem Tubeless-System ist man nicht zu 100 Prozent vor einem Plattfuss sicher. Kleinere Risse und Löcher und Risse in der Karkasse verschliesst die Dichtmilch im Reifen jedoch zuverlässig.
Auch mit einem Tubeless-System ist man nicht zu 100 Prozent vor einem Plattfuss sicher. Kleinere Risse und Löcher und Risse in der Karkasse verschliesst die Dichtmilch im Reifen jedoch zuverlässig.
Stefan Becker
Mehr Grip - weniger Rollwiderstand:
Es geht nicht nur um Pannensicherheit. Tubeless-Reifen können mit einem weit geringeren Luftdruck gefahren werden, was Kurvengrip, Traktion und Fahrkomfort verbessert.
Es geht nicht nur um Pannensicherheit. Tubeless-Reifen können mit einem weit geringeren Luftdruck gefahren werden, was Kurvengrip, Traktion und Fahrkomfort verbessert.
Tubeless-Montage ohne Sauerei
Undichte Reifen, spritzende Dichtmilch – eine riesige Sauerei im Hobbykeller: Trotz der Vorteile scheuen viele Biker die Tubeless-Montage. Doch Stefan Gruber von Trail Supply, dem Vertrieb der Komponenten von NoTubes, beschwichtigt: «Alles gut machbar. Wer bei der Erstmontage ein paar Kniffe beherzigt, fährt rasch schlauchlos.» Zumal aktuelle, hochwertige Laufräder für den schlauchlosen Einsatz ausgelegt sind. Hier verfolgen die Hersteller verschiedene Ansätze: Manche setzen auf eine kleine Kante am Felgenhorn, damit der Reifen sauber sitzt, andere verzichten komplett darauf. Eines ist bei allen Felgen gleich: Zur Laufradmitte dichtet ein geklebtes Tubeless-Tape das System ab; die Felgeninnenbreite ist für die Wahl des passenden Tapes entscheidend. Ebenso wichtig sind spezielle Tubeless-Ventile: Mit ihrem gummierten Fuss und Verschlussring dichten sie das System ab.
«Wer bei der Erstmontage ein paar Kniffe beherzigt, fährt rasch schlauchlos.»
Stefan Gruber, Trail Supply
Läuft bei der Montage alles nach Plan, hält die Luft meist schon ohne Dichtmilch, doch längerfristig geht es nicht ohne sie. Diese gibt es in den verschiedensten Ausführungen, meist basiert die Flüssigkeit auf Latex mit unterschiedlich grossen Partikeln. Um ein «Milchmassaker» zu vermeiden, wird sie per Dosierfläschchen oder mit einer speziellen Einfüllspritze übers Ventil in den Reifen gefüllt. Die enthaltenen Partikel lagern sich bei einem Loch im Pneu flink übereinander, je nach Herstellerangaben dichten sie Risse und Löcher zwischen zwei und zehn Millimetern. Wie viel Dichtmilch pro Reifen benötigt wird, richtet sich nach Reifendurchmesser und -breite sowie Einsatzbereich. «Je mehr Reifenvolumen, desto mehr Dichtmilch», sagt Tubeless-Spezialist Stefan Gruber.
Ein 29er-Reifen mit 2.3 Zoll Breite benötige etwa 80 Milliliter, ein 2.6er-Modell zwischen 90 und 100 Milliliter. Grubers Tipp: «Im Zweifel gilt: lieber etwas mehr.» Was oft unterschätzt wird: Dichtmilch hält nicht ewig, sondern muss regelmässig nachgefüllt, beziehungsweise ausgetauscht werden. «Nach fünf bis sechs Monaten ist die Dichtmilch etwa auf 5 bis 10 Milliliter verdunstet. Dann füllt man pro Reifen mittels Spritze übers Ventil wieder bis auf die erforderlichen 80 ml nach. Fertig!», sagt Gruber. Verdunstet die Milch im Sommer rascher, verkürzt sich das Intervall. All das ist jedoch kein dramatischer Mehraufwand, berücksichtigt man all die Reifenpannen, die einem das Tubeless-System in einer Saison erspart.
Ein 29er-Reifen mit 2.3 Zoll Breite benötige etwa 80 Milliliter, ein 2.6er-Modell zwischen 90 und 100 Milliliter. Grubers Tipp: «Im Zweifel gilt: lieber etwas mehr.» Was oft unterschätzt wird: Dichtmilch hält nicht ewig, sondern muss regelmässig nachgefüllt, beziehungsweise ausgetauscht werden. «Nach fünf bis sechs Monaten ist die Dichtmilch etwa auf 5 bis 10 Milliliter verdunstet. Dann füllt man pro Reifen mittels Spritze übers Ventil wieder bis auf die erforderlichen 80 ml nach. Fertig!», sagt Gruber. Verdunstet die Milch im Sommer rascher, verkürzt sich das Intervall. All das ist jedoch kein dramatischer Mehraufwand, berücksichtigt man all die Reifenpannen, die einem das Tubeless-System in einer Saison erspart.
Gummiwurst & Schaumstoff
Und falls ein wilder Ritt doch mal ein grösseres Loch in den Reifen reisst und die Milch nicht mehr dichten kann? Dafür gibt es mittlerweile von etlichen Herstellern ausgeklügelte Reparatursets mit unterschiedlich langen Gummiwürsten. Mit diesen robusten Flickstreifen bekommt man selbst grössere Löcher in der Lauffläche oder Seitenwand wieder dicht. Ein Vorteil ist hier, dass für diese Reparaturen das Laufrad im Bike verbleiben kann. Wieder gut abgedichtet, kann nicht nur die Tour fortgesetzt werden: Die Gummiwürste sind teilweise so stabil, dass der Reifen ohne Probleme weitergefahren werden kann.
Loch im Reifen:
Mit Flickstreifen wie die Gummiwürste von Maxsalami lassen sich auch grössere Schäden und Löcher im Reifen relativ einfach abdichten. Loch finden, Wurst auffädeln, mit Nachdruck in den Reifen drücken.
Mit Flickstreifen wie die Gummiwürste von Maxsalami lassen sich auch grössere Schäden und Löcher im Reifen relativ einfach abdichten. Loch finden, Wurst auffädeln, mit Nachdruck in den Reifen drücken.
Alles wieder dicht:
Ist das Loch im Reifen abgedichtet, heisst es wieder pumpen. Die überstehende Gummiwurst kann man mit einem scharfen Messer kürzen (Vorsicht: nicht zu kurz abschneiden).
Ist das Loch im Reifen abgedichtet, heisst es wieder pumpen. Die überstehende Gummiwurst kann man mit einem scharfen Messer kürzen (Vorsicht: nicht zu kurz abschneiden).
Puffer: Reifeninserts schützen gegen Durchschläge
Durch den niedrigen Druck im Reifen erhöht sich dennoch die Gefahr, dass es bei einer aggressiven Fahrweise zu Durchschlägen kommt. Vor allem bei Enduro-Fahrern haben sich hier deshalb in den vergangenen drei Jahren verschiedene Schaumstoffeinsätze etabliert. Eingelegt ins Felgenbett, wirken diese als Sicherheitspuffer. Klar sind das pro Laufrad zwischen knapp 60 und 250 Gramm zusätzliches Gewicht, doch wenn es richtig knallt, schützt das Insert Felge und Reifen vor Durchschlägen und Beschädigungen. Das ist keineswegs nur eine Option für den harten Renneinsatz, sondern auch für die schwereren E-MTBs, bei denen allein schon aufgrund ihres Gewichts die Gefahr für Durchschläge und Reifenpannen wächst.
Modelle, wie von den Herstellern Huck Norris, Pepi’s Tire Noodle oder Cush Core angeboten, schützen Felge und Reifenflanke. Die Einlagen gibt es in verschiedenen Ausführungen – vom flowigen Trail- bis zum harten Downhill-Einsatz. Jedoch ist die Montage dieser Schaumstoffschützer je nach Modell, Felgeninnenbreite und Reifen teils auch für geübte Schrauber mit etwas Aufwand verbunden. Doch dieser macht sich bezahlt. Mats Pfister von Cush-Core-Importeur Indian Summer verweist auf wertvolle Zusatzfunktionen des Durchschlagschutzes: «Der Seitenhalt der Karkasse und der Kurvengrip verbessern sich deutlich. Die Reifendämpfung arbeitet wesentlich besser. Man fährt ganz andere Linien und ermüdet langsamer.» Mehr Grip, mehr Dämpfung also – und vor allem weniger Defekte. Hört sich verrückt an, ist aber doch eigentlich «ganz dicht».
Modelle, wie von den Herstellern Huck Norris, Pepi’s Tire Noodle oder Cush Core angeboten, schützen Felge und Reifenflanke. Die Einlagen gibt es in verschiedenen Ausführungen – vom flowigen Trail- bis zum harten Downhill-Einsatz. Jedoch ist die Montage dieser Schaumstoffschützer je nach Modell, Felgeninnenbreite und Reifen teils auch für geübte Schrauber mit etwas Aufwand verbunden. Doch dieser macht sich bezahlt. Mats Pfister von Cush-Core-Importeur Indian Summer verweist auf wertvolle Zusatzfunktionen des Durchschlagschutzes: «Der Seitenhalt der Karkasse und der Kurvengrip verbessern sich deutlich. Die Reifendämpfung arbeitet wesentlich besser. Man fährt ganz andere Linien und ermüdet langsamer.» Mehr Grip, mehr Dämpfung also – und vor allem weniger Defekte. Hört sich verrückt an, ist aber doch eigentlich «ganz dicht».
Tubeless-Montage mit Dichtmilch
Das Umrüsten von Schlauch auf Tubeless ist nicht besonders schwierig, wenn man folgende Schritte beachtet. Tubeless-Experte Stefan Gruber von Trail Supply erklärt, auf was es beim Umbau ankommt.
1. Tubeless-Tape kleben
Damit das Tape auf der Felge haftet und später keine Luft entweichen kann, muss diese mit einem Bremsenreiniger gereinigt werden. Anschliessend klebt man von der dem Ventil gegenüberliegenden Seite aus das selbsthaftende Tubeless-Tape straff auf die Felge. Dazu heftet man es mit einem Finger auf die Felge, während man es mit der anderen Hand unter Zug gleichmässig ins Felgenbett arbeitet. Nach einer Umdrehung wird das Tape mit fünf Zentimetern Überlappung festgeklebt. Wichtig: Für einen perfekten Sitz massiert man die Luftblasen aus dem Tape.
Unter Zug:
Damit es später dicht ist, muss das Tubless-Tape straff und unter Zug auf die Felge geklebt werden.
Damit es später dicht ist, muss das Tubless-Tape straff und unter Zug auf die Felge geklebt werden.
2. Ventil montieren
Mit einem scharfen Cutter am Ventilsitz zwei Schlitze über Kreuz schneiden und die Öffnung mit einer Rundfeile glätten. So kann das Tape nicht einreissen. Das verhindert Dichtmilch- oder Luftverlust. Anschliessend wird das Tubeless-Ventil montiert. Wichtig: O-Ring nicht vergessen, der hält das ganze System dicht.
Ventil montieren:
Experten-Tipp: Das Ventilloch im Tubeless-Tape mit einer Rundfeile glätten, dann reisst das Tape nicht ein.
Experten-Tipp: Das Ventilloch im Tubeless-Tape mit einer Rundfeile glätten, dann reisst das Tape nicht ein.
3. Reifen aufziehen
Bei der folgenden Reifenmontage (aufgezogen wird der Pneu erst über die eine, dann die andere Seite) behilft man sich mit Seifenwasser. Per Schwamm einmal rings um die Felge aufgebracht, rutschen eigenwillige, straff sitzende Pneus deutlich geschmeidiger auf die Felge.
Seifenwasser hilft:
Mit Seifenwasser oder Spüli gleitet der Pneu leichter ins Felgenbett.
Mit Seifenwasser oder Spüli gleitet der Pneu leichter ins Felgenbett.
4. Reifen aufpumpen
Dann wird gepumpt. Nicht übertreiben – Stichwort Kompressor. Der Reifen sollte bei 1.5 bis maximal 2 Bar in die Felge springen. Achtung bei Leichtbaufelgen: Sie sind für bestimmte Luftdrücke ausgelegt, zu hoher Druck schwächt die Felge. Daher sollte man den zulässigen Maximaldruck der Felge kennen. Vorsicht: mit Reifenhebern nicht das Tape beschädigen.
Pumpen:
Egal ob mit Kompressor oder Luftpumpe: Der Reifen sitzt erst dann richtig, wenn er mit einem hörbaren Plopp-Geräusch in die Flege springt.
Egal ob mit Kompressor oder Luftpumpe: Der Reifen sitzt erst dann richtig, wenn er mit einem hörbaren Plopp-Geräusch in die Flege springt.
5. Milch rein und wieder pumpen
Sitz der Pneu korrekt auf der Felge, lässt man die Luft wieder ab, entfernt per Ventilschlüssel den Ventilkern und füllt die erforderliche Menge an Dichtmilch (80 bis 100 ml) übers Ventil in den Reifen. Ventilkern wieder einschrauben und Reifen aufpumpen. Nach dem Einbau des Laufrads einige Meter fahren, wodurch sich die Dichtmilch gleichmässig verteilt und das System dicht wird. Trailtime!
Abdichten:
Je nach Reifengrösse braucht es 80 bis 100 ml Dichtmilch um den Reifen abzudichten. Um eine grössere Sauerei zu vermeiden, wird der Reifen mit einer Spritze direkt über das leere Tubeless-Ventil befüllt. Danach Ventilkern wieder aufschrauben und pumpen.
Je nach Reifengrösse braucht es 80 bis 100 ml Dichtmilch um den Reifen abzudichten. Um eine grössere Sauerei zu vermeiden, wird der Reifen mit einer Spritze direkt über das leere Tubeless-Ventil befüllt. Danach Ventilkern wieder aufschrauben und pumpen.