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Paganella - Der Widerspenstigen Zähmung

Text: Ralf Glaser | Foto: Ralf Glaser
12.04.2023
Nein, ein «Geheimtipp» ist die Paganella keiner mehr. Enduristas der härteren Gangart haben den Hausberg von Trento längst als äusserst anspruchsvolles Trailrevier auf dem Zettel. Doch das ist inzwischen nur mehr die halbe Wahrheit …
So schön langsam wird die Fahrt mit diesem Oldtimer von einem Sessellift zu einer lieb gewonnenen Routine. So eine Art «Ritardando» kurz vor dem Einstieg in die Trails, wodurch die Spannung nochmals spürbar steigt. Während linkerhand die Tiefblicke auf den Lago di Molveno verschwinden, schieben sich voraus vereinzelte Felszacken über den grasbewachsenen Hügel. Die mausern sich, während die antiquierte Aufstiegshilfe ihrem Ziel entgegenzuckelt, zu einem beeindruckenden Gemäuer: Willkommen in den Brenta-Dolomiten!

Gute acht Jahre ist es nun her, dass ich diesen Mountainbike-Teaser im Breitwandformat zum ersten Mal beäugen durfte. Seither war ein knappes Dutzend Wiederholungen fällig. Doch Langeweile ist nicht zu befürchten. Hier, im Herzen des Naturparks der Brenta-Dolomiten und unweit der Provinzhauptstadt Trento, scheinen das Panorama und eben jener Sessellift die einzigen Konstanten zu sein. Alles andere ist offenbar konstante Evolution. Seit dem «Kickoff» vor rund acht Jahren hat sich die «Dolomiti Paganella Bike Area» von einem «Kann man durchaus mal mitnehmen»-Revier hin zu einem Mountainbike-Spot von deutlich überregionalem Rang entwickelt.
Paganella - Der Widerspenstigen Zähmung
Der Name Big Hero ist bei diesem Trail eher augenzwinkernd gemeint.
Paganella - Der Widerspenstigen Zähmung
Schliesslich ist der Big Hero einer der flowigsten Trails weit und breit.

Mit Masterplan zum Trail-Hotspot

Was genau diesen «Kickoff» verursachte, lässt sich gar nicht so leicht bestimmen. War es das 2015er Gastspiel der European Enduro Series, als erstes Bike-Event von internationalem Rang? Oder hatte es eher mit dem mehr oder weniger zeitgleichen Führungswechsel im lokalen Tourismusmanagement zu tun? Dass mit Luca d’Angelo ein angefressener Mountainbiker zum Tourismusdirektor gekürt wurde, hat der Feriendestination in gut 30 Kilometern Luftlinie zum Gardasee jedenfalls sicher nicht geschadet – zumindest nicht aus unsereiner Sicht. Luca jedenfalls gab seinerzeit unmissverständlich die zukünftige Marschrichtung aus: «Das Mountainbiken ist nicht eine Aktivität in unserem Sommer-Portfolio. Es ist DIE Aktivität!»

Grosse Worte, denen jedoch sehr bald Taten folgten. Davon zeugt nicht zuletzt der Flowtrail, welcher unterhalb der Sessellift-Trasse zum Rifugio La Montanara vor sich hin murmelt. Das wunderbar geshapete, offenbar bestens gepflegte Prachtexemplar seiner Art hört – was wohl leicht augenzwinkernd gemeint sein dürfte – auf den Namen «Big Hero». Denn eigentlich war sein Bau der erste Schritt einer Strategie mit dem mittelfristigen Ziel, das Biken vor Ort mit einer Portion weniger Heroismus angehen zu können. Wenn man es einmal nüchtern betrachtet, waren (und sind) die «Naturtrails» vor Ort jedenfalls reichlich selektiv. Das gilt insbesondere für die Trails an den nordwestlich ausgerichteten Waldflanken der Paganella, auf der gegenüberliegenden Talseite.

«Das Mountainbiken ist nicht eine Aktivität im Sommer-Portfolio an der Paganella. Es ist DIE Aktivität!»

Foto: Ralf Glaser
Paganella - Der Widerspenstigen Zähmung
Die Paganella war lange Zeit als äusserst anspruchsvoller Bike-Spot bekannt - und ist es immer noch. Allerdings kommen zunehmend Trails hinzu, auf denen auch Nicht-Pro-Rider ihren Spass haben.
In jedem Falle hatte das zitierte Enduro-Rennen 2015, zumindest in der Anfangszeit, die Aussenwahrnehmung der «Dolomiti Paganella Bike Area» deutlich mitgeprägt. Schon in der Woche vor dem Rennen hatte es regelmässig Hunde und Katzen gehagelt. Und auch während des Rennens waren die Bedingungen – gelinde gesagt – subideal. Wenn man dem damaligen Social-Media-Rauschen Glauben schenken wollte, waren die Racer davon durchaus angetan. Schliesslich war der Grip auf den ohnehin schon recht anspruchsvollen Stages auf das Niveau von Schmierseife abgerutscht. Da bringt kein noch so gutes Material allein mehr spürbare Vorteile – gute Zeiten fährt unter solchen Bedingungen nur, wer ausgefeilte Fahrfähigkeiten auf die Felgen ziehen kann. 

Für «Bike Normalos» jedoch wohnte einem Besuch an der Paganella, so wie sie sich im «Urzustand» präsentierte, lange Zeit ein Hauch von Vabanque-Spiel inne. Sicher, wir reden hier vom Trentino. Und damit von einer der wärmsten und sonnigsten Regionen der südlichen Alpen. Die Chancen, die Naturtrails vor Ort in staubtrockenem Zustand und mit bestem Grip zu erwischen, standen und stehen durchaus gut. Wer allerdings den kürzeren Strohhalm zieht, und etwa eine jener nicht seltenen, frühsommerlichen Hitzegewitter-Perioden erwischt, der lernt die Paganella gern einmal von ihrer «Mr. Hyde»-Seite kennen. 

Da verwandelt sich etwa ein «Ribs-Trail», der die Verbindung vom Fai-Bikepark nach Andalo herstellt, von «ohnehin schon nicht banal» in eine Art Mountainbike-Version von Paris-Roubaix – nur halt mit 40 Prozent Gefälle. Da fragt man sich schon einmal im Finale des «Secret Trail», ob man eher auf dem Bike oder aber selbiges stossend mehr Kopf und Kragen riskiert. «Wir haben hier nun einmal viel Fels, dazu eine lehmige Erde und viele flach wurzelnde Bäume», fasst Luca d’Angelo das vor Ort wohlbekannte «Problem» zusammen. Will heissen: Bei Trockenheit dürfen sich ambitionierte Biker über ein weites Netz an technischen, aber überwiegend mit viel Flow fahrbaren Trails freuen. Bei Nässe dagegen wird es rutschig. Und das nicht zu knapp. «Wenn wir das ändern wollten, müssten wir den kompletten Berg umgraben. Wir müssten die Trails verbreitern, überall Brechsand einbringen. Mal vom Aufwand abgesehen: dann wäre auch das weg, was die Trails bei guten Bedingungen ausmacht. Das kommt nicht infrage. Mountainbiking ist ein Natursport!»

Ausbau statt Umbau

Aber klar ist auch: Wenn sich der Mountainbike-Tourismus zu einem nennenswerten Wirtschaftszweig mausern soll, braucht man mehr als nur die Pro-Rider vor Ort. Fantasie etwa. Oder den Mut, Offensichtliches mit Konsequenz anzugehen und umzusetzen. Etwa die offensichtliche Lösung, zusätzlich zu dem bereits bestehenden Trailnetz weitere Pisten zu bauen. Pisten, auf denen dann eben auch «Normalsterbliche» ihr Heil finden können. Die aber auch Naturtrail-Addicts ohne Hang zur Selbstkasteiung oder überirdisches Fahrkönnen lange genug bei Laune halten, bis sich die Folgen der letzten Regenfälle in Wohlgefallen aufgelöst haben. Eben jene Strategie verfolgt man in der «Dolomiti Paganella Bike Area» seit gut sechs Jahren – und zwar mit einem Nachdruck, der bemerkenswerte Früchte wachsen liess.
Paganella - Der Widerspenstigen Zähmung
Der Signature-Northshore des Willy Wonka Trail zeigt die Detailverliebtheit der Trailbuilding Crew.
Paganella - Der Widerspenstigen Zähmung
Die meisten gebauten Trail bieten einen gelungenen Mix aus Bikepark-Elementen und Naturtrail-Feeling.
Der bereits erwähnte «Big Hero»-Trail zählt etwa in diese Kategorie. An dessen «Paganella Signature Anlieger» kann man sich gar nicht dumm genug anstellen, um ohne spektakulären Instagram-Shot in den Wald zu rollen. Oder der «Peter Pan»-Trail drüben in der «Fai Zone», dem Bikepark am Passo Santel. Mit über drei Kilometern Länge und gut 400 Metern Höhenverlust war er der erste, konsequent nach den IMBA-Guidelines gebaute Flowtrail an der Paganella. Was da auf Trailforks das Label «most awesome Flowtrail» verpasst bekam, verleitet selbst eingefleischte Alpin-Rider dermassen zum Spielen, dass sie ums Verrecken nicht erwachsen werden wollen. «Ja, durch die neu gebauten Trails hat sich die Bike-Community deutlich gewandelt», erzählt Ilenia Romeri. «Früher war das hier der Parade-Spot für Fullface-Helme und Protektorenträger. Heute haben wir auch einen starken Fokus auf den Nachwuchs, und organisieren Camps für Kids und Jugendliche.» Ilenia muss es wissen. Schliesslich koordiniert sie als Inhaberin und Leiterin der Bikeschule «Paganella Bike Academy» mit Sitz in Andalo ein Team aus acht Männern und einer Frau. Allesamt gestandene Guiding-Profis, von denen nicht wenige auch im Winter als Ski-Instruktoren arbeiten. Im Sommer mutiert die Leitung der Bikeschule inzwischen nicht selten zu einem «Sieben-Tage-pro-Woche»-Pensum, mit einer Bike-Saison, die von Anfang Mai bis weit in den Oktober hinein andauert. Dabei verschiebt sich das Jobprofil immer mehr vom reinen Guiding in Richtung Didaktik. «Unser Trail-Center ‹the Cave› haben wir inzwischen auf drei Pumptracks und eine Skill-Area erweitert. Damit haben wir ideale Bedingungen für ein gezieltes Techniktraining vor dem Einstieg in den Bikepark oder auf die Trails!»

Showtime: Rock’n’Roll!

Diesen Einstieg nehmen wir gerne auch direkt. In Ilenias Schlepptau rollen wir durch Andalo, und nehmen die Kabinenbahn zum Doss Pelà. Dort wird schon nach den ersten Anliegerkurven klar, dass Luca d’Angelo nicht zu viel versprochen hatte. «Für uns war Corona natürlich ein harter Einschnitt», hatte er uns am Vorabend mitgegeben. «Aber dass eine Zeitlang kaum Touristen vor Ort waren, hatte auch sein Gutes: So konnten sich die Trailbuilder voll auf die Strecken konzentrieren!» Und das trug offenbar Früchte. Die Kombination aus «Hustle and Flow» und «Willy Wonka» ist auf dem Papier sieben Kilometer lang. In der Realität entpuppt sie sich als nicht enden wollendes Kurvenfest, das die Detailverliebtheit der Trailbuilder offenbart. Das wird vor allem bei «Willy Wonka» überdeutlich: An dessen «360-Grad-Signature-Northshore» inmitten einer engen Schlucht zeigt sich das Konzept «Flowtrail» von seiner Schokoladenseite. Chapeau vor Streckenchef Ezio Cattani und dessen «Trail Zone» Trailbuilder-Crew!
Ein gelungener Bike-Tag lebt aber auch von Kontrasten. Der zweite Run des Tages führt uns «on Top», auf den Gipfel der Cima Paganella. Dort weitet sich das Breitwand-Kino auf 360 Grad. Während gegenüber die Felstürme der Brenta-Dolomiten «Klettertour!» schreien, schimmern knapp 2000 Höhenmeter unter uns die Strassen von Trento. Blickfang ist aber auch Münchens südlichster Vorort, der Gardasee. Rund 30 Kilometer entfernt, am Ausgang des Sarca-Tals, schillert des Outdoorsportlers liebster Teutonengrill wie ein lupenreiner Topas. Nach dem in Summe tiefschwarzen Run über «Giada Line», «Bus del Giaz» und «Ribs Trail» sind wir einen Saisonvorrat an Tubeless-Salamis los. Aber neben einem erhöhten Endorphinpegel sind wir auch um eine Erkenntnis reicher. Spätestens zum Bike-Opening Ende Mai sind wir wieder hier. Aber das ist ja inzwischen auch eine lieb gewonnene Routine.
Foto: Florian Dittert
Paganella - Der Widerspenstigen Zähmung
Der Lago di Molveno ist ein echter Eyecatcher. Früher oder später kommt man auf jeder Trailrunde dort vorbei.
Paganella - Der Widerspenstigen Zähmung
Wer es gerne gröber hat, findet an der Paganelle Gelände genug. Und in der Ferne grüsst der Gardasee.

PAGANELLA INFO

Lage und Anreise 
Die Dolomiti Paganella Bike Area liegt auf der Höhe von Trento, in einem Hochtal zwischen dem Gebirgsstock der Brenta-Dolomiten und der namensgebenden Cima Paganella. Mit dem Auto fährt man von Süden kommend über die Brennerautobahn bis zur Ausfahrt Trento Nord oder aus Norden bis zur Ausfahrt Mezzolombardo. Von dort weiter bis Molveno, Andalo oder Fai della Paganella. Bei Anreise mit dem Zug bis Trento, und weiter mit den Bussen von Trentino Trasporti. Der Biketransport ist allerdings nicht problemlos, daher sollte man ein Bike vor Ort mieten. trentinotrasporti.it 

Saison
Die Seilbahnen vor Ort laufen ab dem 20. Mai bis Ende September durchgehend. Normale Biketouren ohne Seilbahnunterstützung sind ab Anfang Mai möglich, im Herbst kann man bis Ende November auf angenehme Temperaturen hoffen.

Seilbahnen
Seit diesem Jahr ist die Paganella Teil des Gravity Card Verbundes. Der Bikepass für alle acht Seilbahnen vor Ort kostet 40 Euro/Tag (95 Euro/3 Tage). dolomitipaganellabike.com

Bike Shops
Vor Ort finden sich 12 Bikeshops, die allesamt auf Enduro- und Downhill-Biker eingestellt sind. Hier kann man auch problemlos Material anmieten. Die drei «Danger Zone» Fillialen befinden sich an den Talstationen der Andalo-, Fai- und Molveno-Zone. Alle anderen Shops befinden sich unweit davon in Andalo und Molveno. dolomitipaganellabike.com

Guiding
Die Paganella Bike Academy bietet ein komplettes Wochenprogramm an geführten Touren für Fortgeschrittene bis Pro-Rider. Dazu finden regelmässig Techniktrainings und Camps statt. Gäste der zertifizierten Bikehotels vor Ort geniessen Sonderkonditionen. paganellabikeacademy.com

Übernachtung
Insgesamt 40 Betriebe haben sich voll auf den Service für Mountainbiker eingestellt. Darunter befinden sich sowohl Hotels in allen Kategorien als auch Ferienwohnungen und ein Campingplatz. Gäste profitieren von Sonderkonditionen auf Bikepass, Bikeverleih und Guiding. Serviceleistungen wie eine bewachte Bike-Garage, Ladestationen für E-MTBs und ein Ansprechpartner mit Bike-Kompetenz vor Ort sind dort selbstverständlich. dolomitipaganellabike.com

Events
An der Paganella lässt es sich nicht nur biken, sondern auch feiern. Das zentrale Event im Kalender ist das Bike-Opening am Pfingstwochenende 2023. Das Programm kurz zusammengefasst: Riding, Live-Musik, Party.

  • Dolomiti Paganella Bike Opening, 27.–29.5.2023
  • Family Bike Derby, 9.–11.6.2023
  • Mons Royale Bike Woman Camp, 15.–18.6.2023
  • Gravity Teens Camp Experts, Wochencamp mit drei Terminen zwischen Juni und September 
 

Informationen und Buchung
Azienda per il Turismo Dolomiti Paganella
info@visitdolomitipaganella.it
Dolomiti Paganella Bike
info@dolomitipaganellabike.com

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