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Kronplatz - Eine sichere Bank

Text: Ralf Glaser | Foto: Ralf Glaser
13.04.2023
Ob die Dolomiten wirklich «das schönste Gebirge der Welt» sind, wie man oft hört? Das sei dahingestellt. Fakt ist: Wer einmal zum Biken in die Dolomiten fährt, kommt meist wieder. Und stellt oft fest, dass die Trails dort auch dann noch abliefern, wenn andernorts nur wenig geht.
Am Ende reisst die Wolkendecke doch noch auf. Fast schien es, als wäre das Patentrezept «ab in den Süden» dieses Mal ein Schuss in den Ofen gewesen. Als hätten wir uns umsonst noch vor dem Morgengrauen auf die Socken gemacht, um das Wochenende mit einem Freeride-Tag einzuläuten. Aber Südtirols Klima ist eine sichere Bank. Vor allem an Tagen wie diesen, wenn sich der Nordstau an den Alpen auftürmt und dort jede Bike-Ambition ersäuft. 

Mike Promberger hatte den Nieselregen ohnehin mit Fassung getragen. Der drahtige Südtiroler kennt seine Berge. Schliesslich ist er quasi 365 Tage im Jahr an den Hängen rund um seinen Heimatort St. Vigil unterwegs. Im Winter als Skilehrer und Race-Trainer, im Sommer als Guide und Fahrtechnik-Instruktor in der Bikeschule vor Ort. «Wir schnappen uns die E-Bikes», gibt Mike die Parole für den fortgeschrittenen Nachmittag aus. «Wenn die Trails am Kronplatz über Nacht abtrocknen, haben wir morgen umso mehr Spass!» Dass wir uns ranhalten müssen, damit aus der «schnellen Runde über den Gipfel» kein Nightride wird, ist klar. Mit vollen Akkus rollen wir vom Hof des Bikehotels – und steigen direkt in den Shuttlebus. 

Als einziger Talort rund um die Skischaukel des Kronplatz hat St. Vigil im Sommer keine direkte Seilbahnanbindung zum Bikepark. Zum Ausgleich verkehrt stündlich ein Shuttlebus, der die Rider gratis zum Furkelpass chauffiert. Der erspart immerhin knapp 600 Höhenmeter Anstieg, was uns nur recht ist. Schliesslich sind wir auch mit E-Mountainbikes an einer positiven Tiefenmeterbilanz interessiert. Doch vor dem Run wartet der Anstieg. Und der hat es in sich.

Auf den Spuren des Giro

Die 550 Höhenmeter zwischen Furkelpass und Kronplatz gaben schon mal Anlass zu heftigen Diskussionen. Nur eine Palastrevolution vereitelte, dass der Gipfel 2006 Ziel einer Bergankunft des Giro d’Italia wurde. «Das Wetter war miserabel, und die Fahrer haben mit Streik gedroht, weil sie die Strasse für unfahrbar hielten», erzählt Mike. «Das Feld war nur noch eine Stunde entfernt, als man das Ziel an den Furkelpass verlegte.» Doch wenn man eine Bergstrecke für ein Radrennen pimpt, muss dieses auch stattfinden. Zwei Jahre später gelang es dem Spanier Alberto Contador nach einer an Slapstick-Einlagen nicht armen Bergankunft, sich dort als Erster über die Ziellinie zu wuchten.
Kronplatz - Eine sichere Bank
Das Lumen zählt als Museum der Bergfotografie zu den Must-Sees am Kronplatz. Dort sorgt der Spiegelsaal völlig drogenfrei für surreale Momente.
Uns ficht die Kletterpartie auf der südseitig exponierten Schotterstrasse nicht an. Wir müssen mit Strom nicht sparen, und schnurren im Turbo-Modus bergauf. Wie sich diese mit 24 Prozent steilen Rampen gespickte Bitch mit dem Rennvelo bezwingen lässt, bleibt aber schleierhaft. So sind auch keine freundlichen Worte des Tagessiegers über die Giro-Organisatoren überliefert. Dafür die des damaligen Favoriten Ivan Basso: «Wenn du hier anhalten musst, kommst du nicht wieder aufs Rad!»

Kapriolen statt Panorama

Was Ivan Basso nur befürchtete, scheint uns zu blühen. Zum Ende des Anstiegs war beeindruckend schnell eine Wolkenfront über den Alpenhauptkamm geschwappt. Nun empfängt uns der Kronplatz mit einem heftigen Regenguss, vor dem wir fluchtartig im Lumen-Museum unterschlüpfen. Kein schlechter Ort, um eine Wetterkapriole auszusitzen. Neben der riesigen Friedensglocke und dem Messner-Mountain-Museum zählt das «Lumen» als Museum der Bergfotografie zu den kulturellen Highlights der Region. Neben Fotografien aus allen Epochen des Bergsteigens fasziniert der «Pixelstorm», eine Ausstellung zur Digitalfotografie. Der Höhepunkt ist aber der Spiegelsaal, der völlig drogenfrei für surreale Momente und Heiterkeitsausbrüche sorgt.

Mike drängt jedoch zum Aufbruch – wenig später wird klar, warum. Der Trail verdient auch im trockenen Zustand das Prädikat «diffizil». Spitzkehren, Felsblöcke und Drops in steilem Gelände bringen den Körper schnell auf Betriebstemperatur. Immerhin ist nur der erste Abschnitt gesalzen. Weiter vorne mündet der Trail in den «Panoramaweg». Dort hat schliesslich auch das Wetter ein Einsehen. Der Trail führt, meist flowig, mal technisch, über einen bewaldeten Gratrücken nach unten und gibt immer wieder Blicke auf den in der Abendsonne leuchtenden Heiligkreuzkofel frei. Was uns, am Ende eines langen Tages, mit dem unchristlich frühen Aufstehen versöhnt.
Kronplatz - Eine sichere Bank
Sobald man das Bikepark-Areal am Kronplatz verlässt, zeigen die Trails die Zähne und erfordern eine solide Fahrtechnik.

Classic statt Freeride

Mehrere Regenschauer in der Nacht und eine weiterhin instabile Wetterlage machen am Morgen die nächste Planänderung fällig. Statt die Freeride-Trails am Kronplatz zu rocken, schlagen wir, mit E-Motor bewaffnet, den Weg Richtung Fanes ein. Der Naturpark «Fanes-Sennes-Prags» ist nicht nur bei Bikern, sondern auch bei Wanderern beliebt. Letztere finden ein Potpourri an Touren und Gipfelanstiegen, die zu den schönsten der Dolomiten zählen. Für Biker ist das Angebot überschaubarer – es sei denn, man übt sich, wie 2013 Harald Philipp in einem wegweisenden Film, im «Bikebergsteigen». Uns steht aber nicht der Sinn nach Tragepassagen und absturzgefährlichen Harakiri-Trails. Stattdessen geniessen wir auf den zwar steilen, aber fahrtechnisch gut machbaren Alpwegen die Ausblicke auf die Dolomiten. Hier wird auch eingefleischten Gravity-Addicts klar, warum die «grosse Fanesrunde» zu den Bike-Klassikern der Dolomiten zählt.
Kronplatz - Eine sichere Bank
Der Naturpark Fanes-Sennes-Prags zählt zu de grössten Schutzgebieten Südtirols. Als Mountainbiker ist man hier nur selten allein unterwegs.
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An der Ütia de Gran Fanes geht es noch sehr beschaulich zu. Ab der urchigen Hütte beginnt der Trailspass.
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Felsige Dreitausender überragen den Col de Locia. Eine Rast hier fällt schnell mal ausgedehnter aus.
Kronplatz - Eine sichere Bank
Der Trail hinter dem Col de Locia ist als Schiebepassage signalisiert. Wer nur auf eine irdische Fahrtechnik zurückgreifen kann, sollte diesen Hinweis wörtlich nehmen.
Ein Tag ohne Singletrail ist aber keine Option. So biegen wir kurz nach dem Limojoch in Richtung Col de Locia ab. Der Tourcharakter ändert sich schlagartig. Zu beiden Seiten des Hochtales ragen felsige Dreitausender auf. Je weiter wir vordringen, desto trailiger wird der Untergrund. Am Pass, der den Übergang nach Alta Badia freigibt, wird es ernst. Das Schild «Schiebepassage» sollten und werden Normalsterbliche wörtlich nehmen. Für Mike und Florian ist es der Startpunkt für eine Trail-Challenge in felsigem Gelände – ein «typischer» Dolomitentrail.  

Ziel der Übung ist eine Umrundung des Heiligkreuzkofel. An diesem glatten Gemäuer wurde Alpingeschichte geschrieben. 1968 gelang hier den Brüdern Reinhold und Günther Messner die Erstbegehung des Mittelpfeilers. «An der Schlüsselstelle der Tour hätte man Bohrhaken gebraucht – Reinhold Messner war ein erklärter Feind davon», erzählt Mike. «Deshalb hat er die Stelle ohne Hakenhilfe geklettert. Heute wird die Tour mit dem achten Grad bewertet!» Damit gelang Messner der Vorstoss in undenkbare Dimensionen. Ausgerüstet mit den damals üblichen steigeisenfesten Bergschuhen, und neun Jahre vor der offiziell ersten Klettertour im siebten Grad! Unsere Ambitionen sind weniger heldenhaft. Nach kurzer Diskussion entscheiden wir uns für den batterieschonenden Anstieg per Gondel und Sessellift, und rollen so noch frisch am Hospiz ein. Dort ist der eingesparte Saft gut investiert. Auf dem Rückweg warten technische Singletrail-Uphills, aber auch zwei lange und genussreiche Abfahrten mit viel Flow – der perfekte Abschluss des Tages!
Die Trailabfahrt vom Col de Locia bewältigen nur die besten Trailbiker im Sattel

Natürlich gewachsen

Dass der Kronplatz «kein Bikepark aus der Retorte» ist, davon konnten wir uns schon bei vorherigen Besuchen überzeugen. Der Reiz bei diesem Ensemble aus inzwischen 17 Lines – von denen sich zwei über acht Kilometer lang den Berg hinunterschlängeln – liegt in der Vielseitigkeit. «Wir sind in den Wald gegangen und haben das genutzt, was wir vorgefunden haben», erklären die Bikepark-Macher auf ihrer Homepage. «Wo es steil ist, sind die Trails steil. Wo Platz ist, gibt´s Sprünge. Wo Wald ist, da sind Wurzeln. Wo wir durften, kam ein Bagger zum Einsatz, und wo nicht, eben nicht.» Nimmt man noch hinzu, dass die Trail-Area am Kronplatz über Jahre organisch gewachsen ist, bekommt man alle Zutaten für einen Bikepark «ohne Copy & Paste».  

Da laden dann Rides wie der Furcia Trail mit riesigen Anliegern und Kompressionen zum Spiel mit den Beschleunigungskräften ein. Da lockt mit dem Dragon Trail einsteigerfreundliches Gelände, um direkt in den Gassl Trail nach Olang überzugehen. Letzterer brennt auf über sechs Kilometern Länge und mit knapp 900 Tiefenmetern ein wahres Anlieger-Feuerwerk ab. Ein klares Must-do – zumindest für Bikern mit fortgeschrittenen Skills – ist aber der Herrnsteig, der erste und zugleich längste Freeride-Trail am Kronplatz. Dieser bestand ursprünglich aus einem Geflecht von Wanderwegen, die man mit neu gebauten Abschnitten verknüpfte und dann für Freerider öffnete. Heraus kam ein Singletrail der alten Schule. Dort wechseln respekteinflössende Steilstücke und verblockte Passagen mit Abschnitten, die nach früheren Massstäben als flowig galten. Mit dem, was man gemeinhin unter dem Begriff Flowtrail versteht, hat der Herrnsteig bis heute wenig gemein. Trotzdem, oder gerade deswegen, setzt der Herrnsteig in diesem Teil der Alpen einen Benchmark. Ihn zu fahren ist immer wieder ein Genuss. Die Gelegenheit dazu wird sicher nicht lange auf sich warten lassen. Der nächste Nordstau kommt bestimmt.
Kronplatz - Eine sichere Bank
Der Bikepark am Kronplatz ist über Jahre gewachsen und hat dabei seinen Charakter behalten. Funtrails vor alpiner Kulisse machen seinen Reiz aus.

Tourenvorschläge

Kronplatz Panoramaweg
Schwierigkeit: Kondition 3/5, Fahrtechnik 4/5
Der Anstieg zum Kronplatz lässt sich per Seilbahn umgehen. Die Trailabfahrt ist auf dem ersten Kilometer technisch anspruchsvoll (S3), diese Passage lässt sich aber umfahren. Der eigentliche Panoramaweg ist sehr flowig und in mittlerer Schwierigkeit (S1–2).

Heiligkreuzkofel Loop
Schwierigkeit: Kondition: 4/5, Fahrtechnik: 3/5
Die Umrundung des Heiligkreuzkofel ist über weite Strecken fahrtechnisch einfach. Die Abfahrt vom Col de Locia ist eine «Schiebepassage» (on the bike: S3), die Trails hinter dem Hospiz bewegen sich auf S1–S2-Niveau.

Hier gibt's die GPS-Tracks zu diesen beiden Touren

Freeride Kronplatz
Alle Trails des Kronplatz an einem Tag fahren zu wollen, dürfte selbst für Pros zu viel des Guten sein. Je nach Quartier und Fahrkönnen lassen sich diverse Bikepark-Loops planen. Eine Übersicht der Trails findet sich auf: freeride-kronplatz.com

Weitere Touren in der Region:signature-trails.com/san-vigilio

Allgemeine Infos St. Vigil

Anreise
Der Kronplatz liegt direkt bei Bruneck, am Eingang des Südtiroler Pustertals. Wer seinen Radius auf den Bikepark beschränkt, sollte in Olang oder Reischach Quartier beziehen. Wer zusätzlich gerne «klassische» Streckentouren unternehmen möchte, ist in St. Vigil besser aufgehoben. Bruneck lässt sich über die Brennerautobahn schnell ansteuern, und ist auch gut mit dem Zug erreichbar. Die Weiterfahrt nach St. Vigil ist mit dem Bus Linie 460 möglich. bruneck.com

Saison
Die ersten Aufstiegsanlagen am Kronplatz starten Anfang Juni in den Sommerbetrieb. Ab Ende Juni/Anfang Juli sind dann alle Lifte in Betrieb. Je nach Schneelage im Winter lassen sich vor Ort gut ab Anfang Mai Streckentouren fahren. Im Normalfall ist bis Ende Oktober, oft sogar länger, mit angenehmen Bike-Temperaturen zu rechnen.

Übernachten
Vor Ort haben sich diverse Unterkünfte auf Mountainbiker spezialisiert, und bieten ein Rundum-Angebot von Wäscheservice, Bikewash und -Keller bis hin zu Tourinfos und Guiding. Empfehlenswert:

Weitere Bikehotels in der Region: bike-holidays.com

Guiding
Die «Bike School San Vigilio di Marebbe» bietet in der Sommersaison ein umfassendes Wochenprogramm aus geführten Touren, Fahrtechniktrainings und Shuttleservices. Gäste der Partnerhotels profitieren von Sonderkonditionen. mtb-sanvigilio.it

Events
2. September 2023 – Kronplatz King
Der inzwischen legendäre Mountainbike Marathon mit 800 Teilnehmern wird auf drei Strecken ausgetragen. Mit dabei sind: 8 Kilometer Freeride-Abfahrten, 9 Kilometer Singletrails und eine Bergankunft am Kronplatz. 
kronplatzevents.com
 
Allgemeine Infos
Tourismusbüro St. Vigil: sanvigilio.com
Tourismusbüro Bruneck: bruneck.com
Infos Kronplatz: kronplatz.com

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