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Apokalypse now:
Bike and Sail in der Ägäis

Text: Thomas Werz | Foto: Stefan Neuhauser
21.04.2022
Tiefblaues Wasser, felsige Inseln, leckeres Essen und eine mehrere Tausend Jahre alte Kultur: Ein «Bike & Boat»-Trip mit dem Katamaran durch die Inselwelt des Dodekanes in der östlichen Ägäis ist ein im Wortsinne sagenhaftes Erlebnis.
Direkt vor dem linken Bug unseres Katamarans kommt sie in Sicht: die Insel der Apokalypse. Skipper Christos Nikolopoulus nimmt einen grossen Schluck aus seiner Kaffeetasse, inhaliert den Rauch seiner Zigarette, korrigiert ganz leicht den Kurs und steuert seelenruhig darauf zu. Karg und felsig erhebt sich Patmos, die «heilige Insel», aus dem azurblauen Wasser.  

Keine Stunde später lehnen unsere Bikes an einer Steinmauer und wir betreten durch ein unauffälliges Holzportal einen der heiligsten Orte der Christenheit, die Höhle der Apokalypse. Normalerweise stauen sich hier die griechisch-orthodoxen Gläubigen, doch wir sind fast allein. In dieser Felsgrotte soll Johannes der Evangelist im Alter von gesunden 100 Jahren seine Offenbarung verfasst haben, bis ein göttliches Erdbeben die Höhle in drei Teile spaltete. Der süsslich-würzige Duft von Weihrauch liegt in der Luft. An den Wänden hängen mit viel Gold verzierte Ikonen. Ein Mönch, ganz in Schwarz und mit langem Bart, führt zwei Gläubige durch die kleine Kirche, die um die Höhle gebaut wurde. Und ja, an diesem Ort spürt man eine gewisse Energie. Dafür muss man noch nicht einmal besonders gläubig sein. Zehn Mountainbiker, normalerweise nie um einen lockeren Spruch verlegen, sitzen schweigend auf den niedrigen Holzbänken und hängen ihren Gedanken nach.

Highlight abseits der Massen

Die Insel Patmos ist der nördliche Wendepunkt unseres Bike’n‘Boat-Abenteuers – und zugleich das kulturelle Highlight einer an Mythologie, Kultur und Geschichte nicht gerade armen Region. Chora, der Hauptort der Insel, drängt sich mit seinen weissen Häusern um das Johanneskloster, das als wehrhafte, mittelalterliche Burg seit dem 11. Jahrhundert über die Insel wacht. Da Patmos nur mit dem Schiff zu erreichen ist, blieb die Insel bis heute vom Massentourismus verschont. Wir rollen durch enge Gässchen, vorbei an teils schick renovierten Häuschen und gönnen uns eine kleine Pause mit Fernsicht über das Meer. «Dort am Horizont, das ist die Felsenküste von Ikaria», erklärt Giorgos. Dort soll der Sage nach Ikarus ins Meer gestürzt sein, nachdem er der Sonne zu nah gekommen war. Selbst in der Mittagspause kommt man hier nicht an den Sagen der griechischen Antike vorbei.
Apokalypse now: Bike and Sail in der Ägäis
Ein Ort mit besonderer Energie ist die Höhle der Apokalypse auf Patmos. Hier soll Johannes der Evangelist seine Offenbarung geschrieben haben.
Patmos markiert das kulturelle Highlight des Bike'n'Boat Abenteuers, in einer an Kultur und Geschichte nicht gerade armen Region.
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Bike'n'Boat: Eine Woche lang cruisen wir mit dem Katamaran Cinzia durch die Inselwelt des Dodekanes.
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Musse und Andacht - selbst am abgelegensten Pfad stösst man auf den Inseln irgendwann auf eine kleine Kapelle.
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Durch stachelige Ginsterbüsche schlängelt sich der Trail zum Hafen von Patmos
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Der "Bike Aid" Trail auf Kos lädt zum Spielen ein. Daniel Schäfer und Jasper Jauch lassen ihrem Spieltrieb freien Lauf. Tückisch ist nur der Seitenwind.
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Die Bikes an Bord, die Segel im Wind. Die Crew geniesst nach dem Biken ein kühles Bier in der Sonne. "Wie ein Roadtrip, nur geiler", findet Jasper Jauch.
Der Trail schlängelt sich an der Geländekante entlang, mit Blick über das blau funkelnde Meer!
Sagenhaft war schon der Start unseres Trips. Nach einem Jahr Pandemie-Pause hörten sich die Reisepläne von Holger und Jan fast ein bisschen unwirklich an: kleine Gruppe, Segelschiff, Inselhopping, neue Trails … Tatsächlich brauchte es keine grossen Überredungskünste, um neun Mountainbiker mit Vorfreude und gepackten Taschen am Flughafen zu versammeln. Und nach zig Mails, Formularen und PCR-Tests sitzen wir tatsächlich im ersten Flieger nach Athen. Wir, das sind Holger und Jan von Evoc, die beiden Pro-Rider Jasper Jauch und Daniel Schäfer, Fotograf Stefan Neuhauser und der Autor, sowie der italienische Bike-YouTuber Andrea Ziliani. Und es ist der perfekte Aufbruch nach mehr als einem Jahr Stillstand. Nur wenige Stunden später empfangen uns Guide Tassos, die beiden Locals Nikolas und Georgios samt Skipper Christos an der Marina von Kos. Ihre Aufgabe: uns sechs abenteuerhungrige Landratten eine Woche lang von Insel zu Insel zu schippern und mit uns die besten Trails der Ägäis zu erkunden.

Unser erster Stopp, die Vulkaninsel Nisyros, liegt knapp vier Stunden südlich von Kos. Vom kleinen Fischerhafen schlängelt sich ein Strässchen bergauf, vorbei an Olivenhainen und duftenden Oleanderbüschen. Hallo Frühling! Wir treten motiviert in die Pedale. Humane 500 Höhenmeter sind es bis zur Kapelle des Propheten Elias, von der man auf der einen Seite in den steil abfallenden Vulkankrater und ansonsten weit über das Meer bis zum türkischen Festland blicken kann. «Wahnsinn. Kaum zu glauben, dass wir tatsächlich hier sind», entfährt es Jan, während er gedankenverloren aufs Meer hinausblickt. Die erste Abfahrt rüttelt uns im wahrsten Wortsinn wach. Eine verblockte Felstreppe führt in das Bergdorf Nikia, das sich an den schroffen Rand des Vulkankraters klammert – ein unrhythmisches Warm-up für Geist und Fahrwerk. Ein lauter Knall durschneidet die Luft und lässt uns zusammenzucken. Der Vulkan? Giorgos und Nikolas grinsen breit. «Keine Sorge, der soll nur die Vögel vertreiben», meint Nikolas. In der erloschenen Caldera des Vulkans habe ein Bauer eine kleine Plantage, und die Vögel hätten es auf die Früchte abgesehen.  
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Segeln ohne Mann über Bord? Geht nicht! Eine kurze Badepause in einer einsamen Bucht darf bei einem Bike'n'Boat Trip natürlich nicht fehlen.

Hinab in den Vulkan

Auch unser Ziel ist der Boden des «Kratiras Stéfanos». Der Trail schlängelt sich anspruchsvoll, aber abwechslungsreich über Karrenwege und Eselpfade hinab in den Krater. Mit jedem Tiefenmeter wird er ein bisschen ruppiger. Das scharfkantige Vulkangestein verlangt nach einer materialschonenden Linienwahl: Der spröde Tuffstein ist nicht nur rutschig, sondern auch ein wahrer Reifenkiller. Im Kraterboden empfängt uns eine fast surreale Szenerie. Die Sonne brennt, und mittendrin, direkt am Rand der schwefelig-stinkenden Caldera, steht unter ein paar Bäumen ein einsamer Kiosk. Kalte Coke auf heissem Untergrund. Nach einer kleinen Siesta drängen die Guides zum Aufbruch. Zum Glück führt eine mässig steile Schotterstrasse aus dem Krater wieder heraus. Tassos und die beiden Locals haben zum Abschluss noch ein echtes Trailhighlight: Über die Nordhänge des Vulkans führt der Pfad – mal steinig, mal ein bisschen flowiger – durch Olivenhaine in das Küstendörfchen Mandraki. Dort geniessen wir mit einem Bier in der Hand und den Füssen im Meer den Sonnenuntergang.
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Ab in die Caldera. Der steile Eselspfad auf Nisyros führt in den erloschenen Vulkan.
Die Wellen plätschern gegen den Rumpf, der Motor blubbert, während das gleichmässige Auf und Ab uns angenehm aus dem Schlaf schaukelt. Skipper Christos sitzt rauchend und kaffeetrinkend am Ruder und lenkt die «Cinzia» zurück in Richtung Kos, der Heimatinsel von Giorgos und Nikolas. Vor sieben Jahren hatten die beiden damit begonnen, alte Ziegenwege zu befestigen. «Wir haben uns einen kleinen Spielplatz geschaffen und uns immer einzeln geshuttelt», erzählt Giorgos. 2017 und 2018 unterstützten die Tuscany Trail Brothers um Ernesto Hutmacher die Locals auf dem Dodekanes mit einer internationalen Trailbuliding-Woche. So entstanden mehrere Trails auf Patmos, Kos, Lipsi und Leros. Bei einem kurzen Zwischenstopp auf Kos lassen wir uns die Hometrails von Nikolas und Giorgos natürlich nicht entgehen. Im krassen Unterschied zum Vortag ziehen sich «Flow Turtle» und «Mud Turtle» tatsächlich mit ordentlich Flow durch den Wald. Immer sorgen kleine, teils recht abenteuerlich gebaute Obstacles für Abwechslung. Wer vom unendlichen Blau der Ägäis nicht genug bekommen kann, dem verschafft «Bike Aid» das nötige Panorama. Wir müssen uns fokussieren, um den Blick nicht so sehr schweifen zu lassen. Tückisch ist allerdings der Seitenwind, der vom offenen Meer über den Grat bläst. Den bekommt auch Tassos zu spüren. Bei einem kleinen Sprung bläst ihn eine Böe unsanft in die Felsen.
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Holpriger Einstieg: eine ebenso enge wie steile Felsentreppe führt hinunter in das kleine Bergdorf Nikia.
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Das Bergdorf Nikia mit seinen weissen Häusern klammert sich an den Rand des Kraters von Nisyros.
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Alles, aber keine Hektik. Ein Fischer repariert sein Boot auf einem improvisierten Trockendock.
Kurs auf Leros: Skipper Christos hält den
Katamaran im Wind
Wir könnten hier ewig spielen, doch unsere Guides zieht es zurück zum Hafen. Inselhopping bedeutet eben auch, dass wir in sieben Tagen möglichst viele Inseln anlaufen. Der Wind frischt auf. Erstmals verstummen die Motoren, und Skipper Christos hält unseren Katamaran in den Wind. Mit Kurs auf Leros schneidet die «Cinzia» durch die kleinen Wellen zwischen dem türkischen Festland und den griechischen Inseln. Wir liegen vorne in den Netzen über dem Wasser und lassen uns mit einem kühlen Bier den Wind durch die Haare wehen. «Wie ein Roadtrip mit dem Van – nur geiler», meint Jasper und grinst vor sich hin. Damit richtig Urlaubs-Feeling aufkommt, dreht Christos in einer kleinen Bucht bei. «Jungs, Zeit für eine Abkühlung», sagt er, dreht sich eine Zigarette und nimmt einen tiefen Schluck aus seiner Kaffeetasse. Der erste geht unter Johlen mit einem Frontflip von Bord.
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Jammas am Rande Europas 

Als Leros vor uns auftaucht, steht die Sonne schon tief über der Insel. Die schon weit vom Meer aus sichtbare Burg zeugt von den unruhigen Zeiten, die Leros und die anderen Inseln vor der Küste Kleinasiens im Laufe der vergangenen zwei Jahrtausende durchlebten. Unruhig sind die Zeiten auch heute. «Wir sind die Aussengrenze Europas. Das vergessen die Leute gern», erklärt Nikolas. Und vor allem das Verhältnis zum direkten Nachbarn Türkei sei ziemlich angespannt. «Erdogan ärgert uns, wo er nur kann.» Zu dieser Wirklichkeit gehört auch, dass uns auf diesem Segeltörn entlang der EU-Aussengrenze immer wieder Schnellboote und Kriegsschiffe der griechischen Marine passieren.
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Trügerische Idylle am Rande Europas - ein kleines Fischerboot im Hafen von Leros.
Wir wechseln auf die andere Seite der Insel. In einem Wäldchen am Rand des Städtchens Lakki hat der Club spassige Trails in den Wald gegraben. Doch das Highlight wartet hoch über der Bucht von Lakki. Auf einem Hochplateau starten neben zusammengeschossenen Weltkriegsrelikten der italienischen Armee die Trails «Kalamari» und «Dragon Hose» und winden sich über die steinige Hochebene in Richtung Meer. Dort färbt sich die Sonne schon tiefrot, um langsam im Blau der Ägäis zu verschwinden. Jasper, Daniel und Jan legen ihre Bikes in die felsigen Kurven.  Auf uns wartet George mit eisgekühlten Bierdosen im Rucksack. «Jammas, meine Freunde», ruft er mit einem breiten Grinsen im Gesicht. Heiliger Johannes, auch heute sind diese Inseln eine Offenbarung, quasi eine «Apokalypse now»!
Der guten Stimmung tut die militärische Präsenz zumindest an diesem Abend keinen Abbruch. Wir treffen George Boulafendis, den umtriebigen Präsidenten des Leros Cycling Club, in einem kleinen Fischrestaurant am Hafen. Und man muss sagen: Die griechische Gastfreundschaft und Geselligkeit sind schwer zu toppen. «Jammas» bedeutet Gesundheit – und wenn es danach ginge, wie oft das Wörtchen an diesem Abend fällt, dürfte keiner von uns in den nächsten zehn Jahren auch nur einen Schnupfen haben. Gut, dass George und der Cycling Club am nächsten Morgen für uns ein sportliches Programm auf dem Plan haben.  Als wir leicht übermüdet die Räder vom Boot laden, sind gefühlt alle da, die auf Leros irgendeine Art von Mountainbike besitzen. Hochmotiviert wollen uns George und seine Kollegen ihre selbst angelegten Trails zeigen. Doch zum Warm-up warten erst einmal die «Castle Steps», ein rumpeliger Treppen-Downhill von der mittelalterlichen Burg von Panagia durch die Gassen den Inselstädtchens Platanos, die teilweise so eng sind, dass die Lenker gerade so nicht streifen.
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"Jammas" bedeutet Gesundheit. Dieses Wort fällt an jenem Abend so oft, dass es kaum möglich ist, dass wir jemals wieder krank werden.

Info: Bike'n'Boad Dodekanes

Apokalypse now: Bike and Sail in der Ägäis
Der Dodekanes ist eine Inselgruppe in der östlichen Ägäis. Sie gehört zur Gruppe der südlichen Sporaden und liegt direkt vor der türkischen Westküste. Von den rund 160 Inseln sind 25 bewohnt, die Hauptinsel ist Rhodos. Seit der frühen Antike erlebten die Inseln eine wechselvolle Geschichte und waren immer wieder umkämpft, im Zweiten Weltkrieg waren die Inseln von Italien besetzt. Auf dem einwöchigen Trip besuchten wir Kos, Nisyros, Leros, Patmos und Lipsi. Auf den Inseln wurden teils aus Eigeninitiative, teils in Zusammenarbeit mit den Tuscany Trail Brothers 2017 und 2018 Trails angelegt. Über das am besten ausgebaute Trailnetz verfügen Kos und Leros.
An- und Abreise
Per Flugzeug von Zürich nach Kos, für ca. CHF 400.– (inkl. Biketransport)

Insel Highlights

Patmos: Die Höhle des heiligen Johannes und die Altstadt von Chora besuchen. Und in der Bar «Benetos Chora» den Ausblick über das Meer geniessen.
Leros: Restaurant Mylos, direkt am Meer, ursprüngliche und leckere griechische Küche. Und mit den Locals die Trails erkunden
Kos: Abstecher in die historische Altstadt mit zig griechischen Tavernen. Nach der Biketour lädt man die Energiespeicher im Strassencafé Vouros auf.
Nisyros: Abstecher in den Vulkankrater. Sundowner in Mandraki am Meer unter der historischen Festung und anschliessend greichisches Seafood im Geusea direkt am Wasser. 

Alle Infos zu Griechenland:visitgreece.gr
Mountainbiken in der Ägäis:aegeantrails.com

Dodekanes als geführte Tour

Die griechische Biketravel-Agentur Outline-Adventure bietet den einwöchigen Bike’n’Boat Trip «The Big Blue» für kleine Gruppen mit einheimischen Guides durch die Ägäis mit fünf Biketagen als Gesamtpaket zum Preis von EUR 2500.– an. 

Alle Infos zum Trip unter: outlineadventures.com
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