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Interview: Camille Balanche
und Emilie Siegenthaler

19.04.2022
Downhill-Quereinsteigerin Camille Balanche streifte sich 2020 nach nur zwei Jahren Rennpraxis das Weltmeisterinnen-Regenbogentrikot über. Emilie Siegenthaler ist mehrfache Schweizer Downhill-Meisterin. Privat sind sie ein Paar. BORN Magazin hat die beiden zwischen zwei Trainingslagern in Biel getroffen.
In Gravity-Kreisen sind die beiden Frauen seit langer Zeit schon eine feste Grösse. Emilie Siegenthaler hat nun Ende 2021 den Integralhelm an den berühmten Nagel gehängt und geniesst das Leben als Sportpensionärin. Sie blickt auf eine erfolgreiche Karriere mit etlichen Weltcup-Podestplätzen und sieben Schweizermeisterin-Titeln zurück. Trotzdem kehrt sie dem Sport nicht den Rücken zu. Sie ist nach wie vor als Ambassadorin für ihren Ausrüster Pivot tätig und baut sich zeitgleich ein Standbein als Coach auf. Camille Balanche ist als ehemalige Eishockeyspielerin quasi eine Quereinsteigerin. Umso beachtlicher, dass sie im Jahr 2020 zur Überraschung vieler den Weltmeistertitel bei der Elite gewinnen konnte. Zusammen mit ihrem Team Dorval AM Commencal konnte sie sich mit konstanten Spitzenplatzierungen an der Weltspitze etablieren.
Interview: Camille Balanche und Emilie Siegenthaler
Die Krönung der Karriere, nach nur zwei Jahren Rennerfahrung als Downhillerin: Camille Balanche nach ihrem «winning run» bei den DH-Weltmeisterschaften in Leogang 2020.
Habt oder hattet ihr beiden eigentlich einen Konkurrenzkampf untereinander?
Emilie: Für mich war es immer wichtig, dass ich das Maximum gebe. Als Camille schneller wurde als ich, hat mich das genauso gefreut, wie wenn ich das Resultat erreicht hätte. Gegen alle anderen Fahrerinnen wollte ich mich aber schon durchsetzen. Der Ehrgeiz, als mindestens zweitschnellste Schweizerin ins Ziel zu kommen, war immer da! (lacht)
Camille: Ich habe Emilie nie als Konkurrentin angesehen. Wenn sie schneller war als ich, hat mich das für sie gefreut. 

Ihr macht kein Geheimnis um euren Beziehungsstatus und seid damit in der Mountainbikeszene bestens akzeptiert.
Emilie: Mir war schon in meiner frühen Jugend bewusst, dass ich «etwas anders bin», und deshalb ist es für mich das Normalste der Welt. 
Camille: Wir sind seit vier Jahren ein Paar und haben vor Kurzem unsere neue Wohnung bezogen. Da gibt es nichts zu verheimlichen.
Emilie: Als ich angefangen habe mit dem Downhillen, gab es noch ein paar andere homosexuelle Fahrerinnen. Das war aber schon damals völlig in Ordnung.
Warum sind beim Thema Homosexualität die Spitzensportlerinnen so viel offener als ihre männlichen Kollegen?
Emilie: Ich denke, die Männer sind oftmals auch in ihrer Rolle gefangen. Es geht doch auch immer darum, «den starken Kerl» zu geben. Speziell in einem Extremsport. Viele haben wohl Angst vor allfälligen Konsequenzen vonseiten des Publikums oder der Sponsoren. 

Hattet ihr von diesen beiden Seiten schon negative Erfahrungen gemacht?
Camille: Bislang nicht. Ich gehe auch nicht davon aus, dass dies in unserem Sport jemals der Fall sein wird. Wenn ein Hersteller ein Problem damit haben sollte, dann möchte ich auch gar nichts mit seinen Produkten zu tun haben!
Interview: Camille Balanche und Emilie Siegenthaler
Der Konkurrenzkampf findet nur auf der Strecke statt. Als Leistungssportlerinnen wollen beide siegen, doch jede gönnt der anderen den Erfolg.
Nervt es auch manchmal, immer über das Thema zu reden?
Camille: Ja. Ich von meiner Warte aus sehe nämlich das Problem nicht. Es spielt doch keine Rolle, welche sexuelle Orientierung jemand hat.
Emilie: Jein. Es geht ja in der öffentlichen Diskussion nicht nur um das eigene Befinden. Vielmehr sehe ich es als wichtig, die Umwelt über das Thema aufzuklären und Jugendlichen den Weg zu ebnen.
«Der Kampf gegen Homophobie
ist eine Herzensangelegenheit
und mein
Beitrag
zur Enttabuisierung.»
Emilie, du engagierst dich bei «Stopp Homophobie im Sport» des Schweizerischen Olympischen Verbands.
Emilie: Das ist eine Herzensangelegenheit von mir. Ich sehe mein Engagement als Beitrag, das Thema zu enttabuisieren. Denn unsere persönliche sexuelle Orientierung hat keinen Einfluss auf die sportlichen Leistungen und Erfolge. Anzügliche Bemerkungen von Zuschauern oder Passanten aber schon.  

Passiert das oft?
Emilie: Öfter, als man sich denkt. Das beginnt mit einem versteckten Pfeifen auf der Strasse und gipfelt in üblen Beschimpfungen. Da fallen echt Worte, die man nicht abdrucken kann! Wir sind gestandene Frauen und können damit umgehen. Aber ein Teenager, der in dieser so wichtigen Lebensphase eh schon mit sich zu kämpfen hat, dem setzen solche Haltungen seiner Umwelt enorm stark zu. Da sehe ich meinen Einsatz als wichtigen Tropfen auf den heissen Stein. 

Seht ihr euch als Vorbilder für junge homosexuelle Sportlerinnen und Sportler?
Camille: Ich stehe nicht mit diesem Mindset auf am Morgen. Aber ja, selbstverständlich gibt es junge Sportler und Sportlerinnen, die zu uns aufschauen. Wenn mich jemand nach Tipps fragt, gebe ich immer gerne Antwort. Egal, ob Mann oder Frau, homo- oder heterosexuell.
Interview: Camille Balanche und Emilie Siegenthaler
Send it! Jahrelang war Emilie Siegenthaler als «schnellste Schweizerin im DH-Weltcup» gesetzt. Jetzt ist Camille die Frau, die es zu schlagen gilt.
Emilie, du hast Ende der Saison 2021 mit dem internationalen Rennsport aufgehört. Bist du jetzt mit anderen Pensionären auf der Sonnenterrasse anzutreffen?

Haha, nicht wirklich! Als Ambassadorin für das Team Pivot werde ich nach wie vor bei den Downhillrennen dabei sein. Auch um Camille mental zu unterstützen. Als zusätzliches Standbein betreue ich seit Kurzem einen jungen Schweizer Athleten auf seinem Weg an die Spitze. Hier vereine ich meine Ausbildung zum Master of Science in Psychologie mit der langjährigen Erfahrung im Spitzensport.
Dann stehst du mit der Trillerpfeife im Mund und einer Stoppuhr in der Hand im Kraftraum?
Vielleicht mache ich das einmal. So zum Spass, um die Reaktion zu sehen. Ich trainiere immer noch zusammen täglich mit Camille und jetzt auch regelmässig zu dritt. Inzwischen lasse ich aber schon mal ab und zu ein Intervall aus. Das realisiert dann Camille meist recht schnell und sie reklamiert lautstark! Aber ich denke, wir profitieren alle gegenseitig. 

Ihr seid bis anhin immer zusammen auf der Streckenbesichtigung gewesen und habt Lines besprochen und ausprobiert. Wie wird das in Zukunft vonstatten gehen?
Camille: Wir waren ja nicht nur zu zweit unterwegs bisher. In Zukunft werde ich halt mit der jungen Österreicherin Valentina Höll und meiner slowenischen Teamkollegin Monika Hrasnik die Linien studieren. Von Emi kommen dann hoffentlich wertvolle Tipps und Inputs «von aussen». Vielleicht dann mehr als mentale Unterstützung als für die Linienwahl.
«Camilles rasante Entwicklung
war für mich brutal.»
Du hast dich ja innerhalb kürzester Zeit von einer enthusiastischen Anfängerin zur Weltklasse-Downhillerin gemausert.
Camille: Das stimmt! Wenn ich zurückdenke, kann ich es selbst kaum fassen. Seit meinem ersten internationalen Downhillrace, an den Europameisterschaften im März 2018, ist es sehr schnell vorangegangen.

Im wahrsten Sinne des Wortes.
Wegen des Sportstudiums und den langen Wegen ins Training habe ich trotz der Teilnahme an den Olympischen Spielen in Vancouver im Jahr 2010 mit Eishockey aufgehört. Weil viele meiner Studienkollegen mountainbiken gingen, habe ich ebenfalls damit angefangen. 2019 konnte ich Europameisterin werden und mir dann im Jahr darauf bei den Weltmeisterschaften im österreichischen Leogang das Regenbogentrikot sichern. Crazy!
Was hat das mit dir als Athletin und mit euch als Paar gemacht?
Camille: Nach dieser überraschenden Goldmedaille war der Druck schon gross, aber ich bin zum Glück daran gewachsen und konnte mich seither im immer kompetitiver werdenden Feld der Frauen etablieren. 
Emilie: Zum einen war Camilles Entwicklung für mich brutal, denn ich war jahrelang die schnellste Schweizerin im Weltcup. Zum anderen macht mich ihr Weg auch sehr stolz, denn meine Partnerin ist Weltmeisterin geworden, und wer gewinnen will, muss immer zuerst auch sie schlagen.
Interview: Camille Balanche und Emilie Siegenthaler
Airtime beim Heimrennen in Lenzerheide – danach rast Camille Balanche von Motorsägenlärm angetrieben dem Ziel entgegen.
Wie wir wissen, baut sich Emilie eine Zukunft als Coach auf. Was steht bei Camille in nächster Zeit an?
Ich habe bei Dorval AM Commençal einen Vertrag bis 2024. Was danach kommt, weiss ich noch nicht. Der Gesamtweltcup ist ein grosses Ziel von mir. Aber auch jedes weitere Weltmeister-, Europameister- und Schweizermeister-Trikot bekäme einen Ehrenplatz. Alles ist möglich, wenn ich weiter so konstant fahre und verletzungsfrei bleibe.
«Eine dumme Verletzung
kann dir ein ganzes jahr Arbeit zunichtemachen.»
Du bist gelernte Sportlehrerin, siehst du dich nach der Karriere in der Turnhalle?
An «die Pension» denke ich noch nicht mit einer Faser meines Körpers. Mein Job als Downhillerin ist anspruchsvoll, und eine dumme Verletzung kann dir ein ganzes Jahr Arbeit zunichtemachen. Deshalb gebe ich nur selten Stellvertretungen bei meinen Kolleginnen. Ehrlich gesagt, regeneriere ich in meiner freien Zeit lieber und mache etwas für mich. So wie jetzt, denn ich muss unbedingt noch mit dem Auto in die Werkstatt.

Immer hart am Gas, da wollen wir dich nicht aufhalten. Camille, Emilie, danke für das Gespräch!
Interview: Camille Balanche und Emilie Siegenthaler
Camille Balanche
Camille Balanche ist Multisportlerin. Zuerst fuhr sie den Titel der Junioren Schweizermeisterin im Fechten ein, wurde dann Olympionikin mit dem Damen-Eishockey-Nationalteam, um ihre Karriere mit dem Titel «Weltmeisterin im Downhill» zu krönen. Zum Mountainbike kommt Camille während des Sportstudiums in Magglingen. Als sie immer mehr Gefallen am Sport findet, beginnt sie, an Enduro-Rennen teilzunehmen, und trifft so Emilies Vater Nicolas. Fortan bilden die beiden Frauen eine Trainingsgemeinschaft und werden ein Paar. Bis ins Jahr 2024 wird sie in den Farben ihres aktuellen Teams, «Dorval AM Commençal» an den Start gehen.
Interview: Camille Balanche und Emilie Siegenthaler
Emilie Siegenthaler
Die studierte Psychologin Emilie Siegenthaler war als Kind auf den Langlaufskiern unterwegs anzutreffen. Zu Beginn ihrer Mountainbike-Karriere startete sie in der olympischen Disziplin Cross Country. Nachdem sie Europameisterin bei den Juniorinnen wurde, brach 2006 das Pfeiffersche Drüsenfieber ein zweites Mal aus. Daraufhin geriet Emilies steile Karriere ins Stocken und sie wechselte das Arbeitsgerät. Als Downhillerin wurde sie insgesamt sieben Mal Schweizer Meisterin und erlangte etliche Podest- und Podiumsplätze im Weltcup. Ende 2021 trat Emilie Siegenthaler vom professionellen Sport zurück.

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