Maxon Bikedrive Air 2.0
Maxon Bikedrive Air 2.0
Maxon Bikedrive Air 2.0

Maxon Bikedrive Air 2.0

Maxon verdoppelt sich

Mit einem maximalen Drehmoment von 90 Newtonmetern reiht sich der neue Bikedrive Air S Antrieb des Schweizer Herstellers Maxon nahtlos in die Kategorie der Full Assist Antriebe ein. Positiv: Das Leistungsplus kommt ohne Gewichtszunahme.

Maxon Bikedrive Air 2.0
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Maxon Bikedrive Air 2.0

Ein maximales Drehmoment von 90 Newtonmetern bei einem Motorgewicht von zwei Kilogramm und einer Spitzenleistung von über 600 Watt? Es fällt nicht leicht, den neuen Bikedrive Air S Antrieb von Maxon in eine der klassischen Schubladen mit den Etiketten light, mid oder full assist zu stecken. Oder macht der neue Motor ein solches Schubladendenken gar obsolet? Eines ist sicher – seit Beginn des E-MTB-Booms blieben die Räder der technologischen Entwicklung nicht stehen. Auch andere Hersteller als Maxon liefern ihren Usern inzwischen «erwachsene» Drehmomente, verpackt in erstaunlich leichten Motoren. Allerdings schienen sich dort neuerdings Spitzenleistungen im vierstelligen Watt-Bereich als neue Benchmark etabliert zu haben. Wo steht da der Bikedrive Air S mit seinen 620 Watt?
 
 Was zählt: Fahrgefühl
Dass er beim Thema «Leistung» ein wenig weiter ausholen muss, kennt Volker Stützinger offenbar schon. Als Verantwortlicher für E-Bike-Antriebe beim Schweizer Hersteller Maxon hat er die Entwicklung des Motors von Anfang an maßgeblich begleitet. «Der neue Bikedrive Air S bringt, wie die meisten anderen Antriebe auch, eine nominelle Dauerleistung von 250 Watt. Das ist keine technische Grenze, sondern eine regulatorische. Wenn er mehr Dauerleistung bringen würde, wäre ein Bike mit diesem Antrieb rein rechtlich kein Fahrrad mehr», erklärt Volker die Hintergründe. «Was die Ermittlung der Spitzenleistung angeht, kocht jeder Hersteller sein eigenes Süppchen. Für sich selbst genommen, hat diese Zahl sowieso nur wenig Aussagekraft.»
Ein wenig sei es hier wie mit der Angabe der Auflösung eines Sensors in einer Digitalkamera. Viele Pixel klängen erst einmal gut und taugten durchaus als ein Verkaufsargument. Rückschlüsse auf die Bildqualität, die eine solche Kamera liefere, ließen sich daraus aber nur sehr eingeschränkt ziehen. «Was hilft mir ein E-Bike-Motor, der eine Leistung von 1000 Watt abgibt, aber das nur bei einer Kadenz von 140. Und das, kurz bevor er abraucht?», fragt Stützinger rhetorisch. Relevant sei eher die Unterstützungsleistung, die ein Motor innerhalb eines Kadenzbereichs von 60 bis 120 Pedalumdrehungen pro Minute liefere. Also bei Trittfrequenzen, mit denen sich der Löwenanteil aller Biker nach der Beschleunigungsphase fortbewegt. Für die Leistungsangaben des eigenen Produkts, macht Volker Stützinger klar, orientiere man sich an diesem, für die Praxis relevanten Bereich. Und ohnehin sei auch hier die Wattzahl kein allein selig machendes Argument. «Das Fahrverhalten eines Motors wird nicht nur durch die reine Unterstützungsleistung bestimmt, sondern auch von der Frage, wie viel Drehmoment er in einem bestimmten Drehzahlbereich noch für eine weitere Beschleunigung zulegen kann. Und wie effizient er in diesem Bereich arbeitet!»

Effizienzgrad: 85 Prozent
Auf der Effizienz, so viel wird im Gespräch schnell klar, lag offenbar eines der Hauptaugenmerke während der gut drei Jahre andauernden Entwicklungsphase des Bikedrive Air S. Die Kernfrage lautet: Welchen Anteil der eingesetzten elektrischen Energie setzt der Antrieb tatsächlich in Bewegungsenergie um, wenn er sich innerhalb seines optimalen Arbeitsbereiches bewegt? Oder im Umkehrschluss: Wie viel Energie geht in Form von Reibung und Abwärme ungenutzt verloren? «Seinen optimalen Arbeitspunkt erreicht der Bikedrive Air S in einem Kadenzbereich zwischen 70 und 100 Pedalumdrehungen pro Minute», erklärt Stützinger und führt weiter aus: «Je nach Eigenleistung steuert der Motor bis zu 400 Prozent on top, und zwar bis zu 90 Nm. Hier liegen wir bei einer Effizienz von 85 Prozent!» Der Air S liegt damit definitiv in der dünn besiedelten Spitzengruppe der Effizenzsieger. Für die Praxistauglichkeit des gesamten Systems sei aber auch ausschlaggebend, wie schnell dieser «grüne Bereich» erreicht werden könne. «Bei der Beschleunigungsphase aus dem Stand heraus arbeitet ein Elektromotor extrem ineffizient», erklärt Experte Stützinger und schiebt die Begründung gleich hinterher: «Das ist prinzipbedingt. Elektromotoren brauchen eine gewisse Drehzahl, damit Leistung und Effizienz perfekt harmonieren. Damit diese Drehzahl möglichst schnell erreicht wird, investiert das System beim Lospedalieren sehr viel elektrische Energie, kann daraus aber nur unverhältnismässig wenig Kraft generieren. Bei der Entwicklung ging es also darum, das optimale Effizienzfenster auf die Trittfrequenz des Fahrers anzupassen, innerhalb dessen der Motor mindestens 60 Prozent der eingesetzten Energie in Bewegung umsetzen kann. Je nachdem, wie viel Kraft der Biker selbst beim Start aufs Pedal bringt, ist dieser Bereich beim Bikedrive Air S schon ab einer Kadenz um die 30 Rpm erreicht!»

Gleiches Gewicht, mehr Leistung
Die Auswirkungen solcher Optimierungsmassnahmen für die Praxis leuchten problemlos ein. Je effizienter der Motor selbst arbeitet, desto höher ist auch die Reichweite, die sich aus einer Akkuladung generieren lässt. Für einen Leichtantrieb kann das auch bedeuten: Die Akkus können kleiner und leichter sein, ohne in Sachen Reichweite zu viele Kompromisse eingehen zu müssen. Wobei hier auch bei Maxon die Tendenz zu «höher, schneller, weiter» feststellbar ist. Wie die erste Generation kommt auch der Bikedrive Air S Antrieb mit zwei Ökosystem-eigenen Akkus. Dank des Einsatzes neuer Zelltechnologien liefert nun der «kleine» Systemakku eine Kapazität von 400 Wattstunden bei einem Gewicht von 1,8 kg. Dasselbe Gewicht also wie der «große» Akku der ersten Generation, der dabei allerdings nur 360 Wattstunden bereithielt. Neu hinzugekommen ist nun ein Akku, der bei einem überschaubaren Mehrgewicht von einem Kilo Tagestour-taugliche 600 Wattstunden an den Motor abgeben kann. Gleich geblieben ist die Kapazität des optional erhältlichen Range-Extenders, der bei 1,6 kg Mehrgewicht weitere 250 Wattstunden hinzufügt. In Summe werden also 850 Wh ermöglicht, das sollte auch jeden Wh-Fanatiker glücklich machen.
Trotz Mehrleistung und höherer Reichweite ist bei Maxon also keinerlei Abschied vom Konzept des «Leichtantriebs» erkennbar. Sicher stieg das Systemgewicht im Vergleich zur ersten Generation minimal um knapp 300 Gramm an – auf 3,9 Kilo für die Variante mit der 400-Wattstunden-Batterie. Und auch in der großen Ausführung mit 600 Wattstunden Kapazität bringt es der Antrieb immer noch auf sehr schlanke 4,9 kg Gesamtgewicht. Interessanterweise gelang es den Entwicklern dabei sogar, die Bauform des Motors noch etwas zu schrumpfen – das Antriebsaggregat baut nun knapp 40 Millimeter kürzer, und lässt sich somit noch leichter im Unterrohr platzieren. «Das klingt erst einmal nicht nach viel gibt Stützinger zu bedenken, «aber dadurch kann der Knick am Tretlager kürzer werden. Das eröffnet viele Freiheiten im Rahmendesign, vor allem bei kleinen Rahmengrößen!»

Maxon Bikedrive Air 2.0
Maxon Bikedrive Air 2.0
Maxon Bikedrive Air 2.0

Schweizer Engineering & Produktion
Keine Frage, hier in Obwalden ist offenbar viel Entwicklungsarbeit für die neue Antriebsgeneration geleistet worden. Und jeder der Prototypen wollte vor der Serienreife ausführlich testgefahren werden. «Hier in Sachseln haben wir optimale Voraussetzungen, um Erkenntnisse aus den Tests gleich wieder in die Entwicklung einfließen zu lassen», erklärt Stützinger. Dabei helfe die Tatsache, dass Maxon als Zentralschweizer Firma enge Lieferketten und eine hohe eigene Fertigungstiefe vor Ort bereithalten könne. «Wir haben natürlich unsere Zulieferer. Akkuzellen oder auch Elektronikbauteile beziehen wir von außerhalb. Doch wenn wir für die Entwicklung ein neues Zahnrad für eine Optimierung am Getriebe brauchen, dann fräsen wir das hier vor Ort und können es sofort in die Testbikes implementieren!» Und so bleibe das auch bei der Serienproduktion: Der neue Bikedrive Air S Antrieb ist nicht nur «engineered», sondern auch weitestgehend «manufactured in Switzerland». Ist es nun also an der Zeit, eine neue Schublade zu erfinden? Die des «opt assist»-Antriebs? Die Praxis wird es zeigen. Man darf gespannt sein auf die ersten E-MTBs, die damit auf die Trails rollen werden.

Konzept

Nahezu unsichtbarer Full-Power-Leicht-Antrieb

Welche Ziele hat der Schweizer E-MTB-Motorenhersteller Maxon bei der Entwicklung des neuen Bikedrive Air S Antriebs verfolgt? Die BORN-Redaktion hat mit dem Produkt-Verantwortlichen Volker Stützinger gesprochen.

Maxon Bikedrive Air 2.0
Maxon Bikedrive Air 2.0
Maxon Bikedrive Air 2.0

Volker Stützinger
Leiter E-Bike Antriebe maxon

Der neue Bikedrive Air S Antrieb bringt im Vergleich zu seinem Vorgänger mehr als das doppelte Drehmoment. Ist das eine Abkehr von eurem ursprünglichen Konzept?
Absolut nicht. Als wir 2021 den Bikedrive Air Antrieb vorgestellt haben, war es ja nicht unser Ziel, einen Antrieb mit nur moderater Unterstützung zu bringen. Wir wollten einen möglichst leichten Antrieb, der sich nahezu unsichtbar in ein Bike integrieren lässt – und der seine Leistung zuverlässig bringt, ohne zu überhitzen. Die Specs des Airdrive spiegeln das wider, was mit dem technologischen Stand von 2021 machbar war. Inzwischen haben sich die Technik und die Materialien weiterentwickelt und wir haben viel Entwicklungsarbeit investiert. Dadurch können wir jetzt einen Antrieb der zweiten Generation nachschieben, der deutlich mehr Unterstützung bietet als sein Vorgänger. Und das, ohne die geringsten Abstriche am Konzept «nahezu unsichtbarer Leichtantrieb» machen zu müssen.


Der alte Antrieb mit «nur» 40 Nm Drehmoment war zwar kein Massenprodukt, hatte aber durchaus seine Freunde. Wäre es auf dem heutigen Stand der Entwicklung möglich, einen Antrieb mit den alten, reduzierten Specs zu liefern – nur nochmals deutlich leichter?
Ja, wenn man sich «mehr als 40 Nm muss der Antrieb nicht bringen können» zum Ziel setzen würde, könnte man das heute auch leichter bauen. Aber eine Revolution wäre hier nicht zu erwarten. Auf grundlegende Komponenten wie ein Getriebe oder eine Achse kann auch ein Light Assist Motor nicht verzichten. Mehr als 150 oder vielleicht 200 Gramm ließen sich durch reduzierte Specs kaum am Gesamtsystem einsparen. Aus einem ohnehin schon sehr leichten System das Optimum herauszuholen, ist der weitaus sinnvollere Weg.


Ist das Konzept «Light Assist Antrieb» also tot, weil von der Technologie überholt?
Das würde ich so nicht sagen. Wir bekommen schon Anfragen von Herstellern, die zum Beispiel ein ultraleichtes E-Gravelbike auf die Reifen stellen wollen. Da wäre ein Motor mit den alten Specs, aber auf dem heutigen Stand der Technik, schon interessant. 90 Newtonmeter Drehmoment sind für ein E-Gravelbike eben deutlich überdimensioniert, so viel Unterstützung braucht dort kein Mensch. Diesen Weg können und wollen wir aber nicht gehen. Mit einem solchen Antrieb kämen wir nicht auf die Stückzahlen, für die sich eine zweite Produktions- und Entwicklungsschiene rechnen würde.

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