Keine Marke ist so von Mythos umweht wie Yeti. Frühe Modelle der US-Schmiede haben Ikonen-Status und erzielen Rekordpreise. In diesem Jahr feiert Yeti sein 40. Firmen-Jubiläum. Was hat es mit dem Kult auf sich? Auf Antwortsuche in der Sammler-Szene.


Ein Foto von Missy Giove, unterschrieben von Yeti-Gründer John Parker.


Das türkis-graue «Juli Furtado-Bike» markiert einen Meilenstein in der Yeti-Geschichte: Es war das erste Exemplar aus Alu.


Pascal Jeker und sein Yeti ARC LT 1994 .
Zeit lässt sich nicht festhalten, sie ist wie ein glitschiger Fisch. Selbst eine Kamera kann einen Moment nicht bewahren, nur
das Abbild davon. Doch bei diesem Foto ist das anders. Stefan Utz muss es nur ansehen, da fühlt er sich in die Zeit zurückversetzt, in der ihn das Mountainbike-Fieber gepackt und nie mehr losgelassen hat.
Das Foto ist von 1992 und stammt aus einem Magazin. Die Aufnahme zeigt John Parker, den Gründer der Marke Yeti, im Fahrerlager eines Worldcup-Rennens. Parker trägt einen Cowboyhut. Er hat seinen Arm lässig auf die Schulter von Downhill-Göttin Missy Giove gelegt, die einen getrockneten Piranha als Kettenanhänger trägt. Am Teamtruck lehnt ihr Bike, ein türkis-graues Yeti mit Elastomer-Federgabel. «Das Foto ist für mich der Inbegriff der coolen Bike-Zeit, als der Sport eine Mischung aus Abenteuer und Rock’n’Roll war», sagt Stefan und dreht den Kopf beseelt zu dem Bike neben sich. Der Blick saugt sich fest, er oszilliert zwischen Entzücken und Ungläubigkeit. «Missy Giove» steht auf dem Oberrohr. Es ist das türkis-graue Yeti aus dem Foto. Seit ein paar Wochen ist es in Stefans Besitz. Surreal wirkt es, wie es da an der Wand lehnt. Als würden Missy und John nur kurz Kaffee holen.


Christian Czapalla und sein Yeti Tree Frog 1989


Michel Wagner und sein Yeti Pro FRO 1990
Der Raum ist eine Zeitkapsel. In Regalen, Vitrinen und auf Podesten: historisch Geiles. Knapp zwei Dutzend ikonische Bikes funkeln im Licht der Deckenspots. Der Soul der goldenen Zeit, wie die wilden Anfangsjahre des Mountainbike-Sports heute genannt werden, trieft aus jeder Ritze. Die Tür zu dem unterirdischen Raum ist keine Tür im normalen Sinne. Sie ist das Portal in eine andere Welt. Die Adresse hält Stefan streng geheim. Nur der innere Kreis der Yeti-Szene weiss, wo sich der Raum befindet. Pascal Jeker ist einer davon. «Hoi Stefan!», ruft Jeker mit feierlicher Stimme und fädelt sein Schmuckstück so vorsichtig durch die Tür, als wäre es aus Porzellan. Das Bike ist nagelneu. Kurzes Schulterklopfen zur Begrüssung. Dann starren beide stumm und mit schmachtendem Blick das Bike an. Das Teil ist eine Hommage an die Marke Yeti.
Vor ein paar Monaten kam Jeker die Idee, das Kult-Modell Ultimate neu zu interpretieren. Mit allen Details. Aber als Twentyniner mit Scheibenbremsen und Teleskop-Sattelstütze. In den Rahmen sind Stücke eines originalen Ultimate eingearbeitet. «Der alte Rahmen war defekt. Jetzt lebt er weiter», sagt Jeker. Das Bike ist seine persönliche Verbeugung vor der Marke Yeti, die in diesem Jahr ihr 40-jähriges Bestehen feiert. Die Liebe, die das fetischistisch gearbeitete Kunstwerk ausstrahlt, lässt erahnen, wie sehr die Marke Jeker geprägt hat.


Markus Reichle und sein Yeti Prototyp 1991, Original von Juli Furtado


Stefan Scherzinger mit dem ersten Yeti-Prototyp von 1984
Es ist Samstag, ein sonniger Morgen. Stefan hat den harten Kern der Community zum Frühstück eingeladen. Alle haben mehrere Yetis, manche sogar grosse Sammlungen. Heute aber soll jeder nur ein Bike mitbringen, sein persönlich wichtigstes. Einer nach dem anderen betritt den Raum. Grosses Hallo. Man kennt sich. Stefan Scherzinger ist da, der Betreiber von www. oldschoolracing.ch – ein digitaler Hort der Vintage-Kultur. Natürlich ist auch Markus Reichle gekommen. Marathon-Fans kennen ihn als Sieger der ersten BIKE Transalp 1998. Reichle hat eine echte Reliquie dabei: das 1991er Yeti, das Juli Furtado in der Saison nach ihrem Sieg der allerersten Mountainbike-WM fuhr. Ein Prototyp aus Alu, der den Vorläufer des späteren Kultmodells ARC darstellt. «World Champ» ist ins Tretlagergehäuse gestanzt. Mehr geht nicht. Reichle hat das Bike von einem Sammler aus Singapur gekauft. Für welche Summe? Die Antwort ist nur ein breites, vieldeutiges Grinsen. «Yeti hat mich schon früher als Rennfahrer fasziniert», lässt Reichle stattdessen die Flamme der Erinnerung knistern: «Ich war damals für Mainstream-Marken unter Vertrag und immer neidisch auf die Fahrer, die mit den coolen Bikes fahren durften.» Yeti sei die coolste aller Marken gewesen. Spirit, Kreativität, Herzblut, zählt Reichle die Begriffe auf, die er mit Yeti verbinde. «Das war Punkrock», fasst er zusammen.


Limitiertes Jubiläumsmodell: Das Yeti ASR 40th Anniversary im ikonischen Dart-Look – eine Hommage an die 90er, streng limitiert auf 200 Stück weltweit.
Um den Yeti-Mythos in allen Facetten zu verstehen, muss man die wilde Zeit miterlebt haben. Das Mountainbiken krachte mit der Wucht einer Abrissbirne in die Neunziger und stellte alles auf den Kopf. Es war eine völlig neue Art von Radsport. Eine Mischung aus Abenteuer und Jugendkultur. Die Stars der Szene hiessen John Tomac, Thomas Frischknecht, Ned Overend und Juli Furtado und verhöhnten bei ihren Ritten Tod und Teufel. Im Zentrum des Booms stand die US-Schmiede Yeti, deren Chef John Parker mit seinem Rennteam Hochleistungssport, Rock’n’Roll und Starkult auf eine bis dahin nie dagewesene Art miteinander vermengte. Parker hatte als Kulissenbauer in Hollywood gearbeitet und ein Faible für Technik. Er trieb die Entwicklung der Bikes mit einer Mischung aus Spieltrieb und Innovationslust voran. Die Szene verehrte die Marke auf fast schon religiöse Art. Parker war Visionär. Ein Geschäftsmann aber war er nicht. Als Yeti 1995 vom Schwinn-Konzern übernommen und bis zur Unkenntlichkeit kommerzialisiert wurde, zog er sich frustriert aus der Öffentlichkeit zurück. Jahre später kauften zwei Ex-Mitarbeiter die Marke zurück und belebten sie neu.


Markus Schneeberger und sein Yeti Ultimate 1990


Marcel Matti und sein Yeti ARC LT 1994, Original Racebike von Jimmy Deaton
Das Frischhalten der Yeti-Vergangenheit ist zum Spezialgebiet von Stefan Utz geworden. Als Fünfzehnjähriger spürte er in Schönbühl-Sand als Zuschauer eines der ersten Europäischen MTB-Rennen zum ersten Mal die besondere Magie der Marke. Die Restauration eines Yeti Ultimate zog ihn 2007 endgültig in den Bann. Die Faszination in Worte zu fassen, fällt ihm schwer. Was daran liegt, dass das Gefühl für ihn so übergross ist, dass Worte – egal, welche – es nur unzureichend beschreiben können. Das innere Glühen. Ungooglebar. Unverrottbar. Seinen Gästen muss er das Gefühl nicht erklären. Es ist selbst Teil von ihnen. Seit in den Nullerjahren der Klassiker-Boom losbrach, tobt eine globale Jagd nach den Modellen der frühen Yeti-Phase. Keine Marke ist bei Sammlern so begehrt wie Yeti. Manche wollen sich mit dem Besitz ein Stück Jugend zurückholen. Andere sehen die Bikes als Geldanlage. «Das sind Autopreise», sagt Stefan. Konkrete Zahlen mag er nicht verraten. Aber so, wie er es sagt, sind mit dem Begriff Auto keine alten Rostlauben gemeint. Um Rendite gehe es ihm und seinen Freunden nicht, betont Stefan. Stehe ein Bike zum Verkauf, werde es meist innerhalb der Community zum Selbstkostenpreis weitergegeben. Das Netzwerk, so fügt er an, sei ein wichtiger Teil des Hobbys. Der Austausch. Die Treffen. Die kollektive Freude, wenn einer ein besonderes Bike ergattert. Der Jagdtrieb sei ein grosser Reiz, bestätigt Pascal, der neben Stefan steht und gerade dessen neues Missy-Bike bewundert. Dass das Ganze ein eigener Kosmos ist, der mit der Welt da draussen kaum Schnittpunkte hat, macht es noch interessanter. «Das Bike könntest du wahrscheinlich am Bahnhof abstellen und niemand würde es beachten. Heute wollen alle nur noch E-Bikes», grinst Stefan, und Pascal nickt amüsiert.


Stefan Utz und sein Yeti ARC AS 1992, Original von Missy Giove


Missys 1992er Speed-Bike verblüfft mit kühnen technischen Lösungen.
Es ist früher Nachmittag, als sich das Treffen so langsam dem Ende zuneigt. Die meisten haben noch familiäre Termine. Doch bevor sich die Runde auflöst, wird noch Aufstellung für ein Erinnerungsfoto genommen. Alle grinsen in die Kamera. Der Fotograf reckt zufrieden den Daumen. Der Moment ist auf Speicherkarte gebannt. Eigentlich überflüssig. In den Herzen der Sammler ist er auch so für immer gespeichert.