Im Herbst lockt das Tessin oft mit stabilen Wetterlagen, guter Weitsicht und einer fast nicht endenden Mountainbike-Saison. Auch aus kulinarischer Sicht ist die Jahreszeit ein einziges Fest der Sinne. BORN lädt ein zum standesgemässen Saison-Finale
«Trails muss man ernten, bevor der Winter kommt.»
«Sind wir überhaupt noch auf dem Trail?», johlt Jonas lachend hinter mir. Unsere Vorderräder verschwinden fast im Laub, der Weg ist nur noch zu erahnen. Alles leuchtet in Gold und Rostrot, als hätte jemand den Sättigungsregler hochgedreht. In der Ferne glitzern die ersten weissen Gipfel – der Winter kündigt sich an. Es riecht nach feuchtem Moos, nassem Holz, einem Hauch von Rauch aus einem fernen Kamin. Aber irgendwas liegt noch in der Luft – vielleicht Melancholie? Es ist dieser bittersüsse Moment, wenn man weiss: Das ist vielleicht das letzte Mal für dieses Jahr. Die letzte grosse Tour vor dem Schnee.


Laub auf dem Trail erhöht den Schwierigkeitsgrad – lädt aber auch zum Spielen ein.
Monte Tamaro 2.0
Wie so oft um diese Jahreszeit zieht es uns ins Tessin. Raus aus der Nebelsuppe, rein ins Trailvergnügen auf der Sonnenseite der Alpen. Wir werden von warmem Licht empfangen, als der Zug aus der Tunnelröhre rollt. «Und hier soll November sein?», sagt Michi und schiebt die Sonnenbrille hoch. Die Sonne wärmt das Gesicht. Der Winter kann warten. Noch ein letztes Mal wollen wir ernten, was dieser Trailjahrgang zu bieten hat. In Rivera rollen wir die Mountainbikes vom Bahn-Perron. Die neue Bergbahn am Monte Tamaro summt leise, als wir einsteigen – gross, verglast, futuristisch. «Fast ein bisschen schade, dass der Viehtransport von früher passé ist», frotzelt Jonas. Heute gleiten wir lautlos den Hang hinauf, sehen, wie die Landschaft unter uns aufbricht in Licht und Schatten. Oben angekommen schmiegt sich die neue Station dezent an den Hang. Eines hat sich nicht geändert – die Kirche von Mario Botta ist ernst und monumental wie eh und je. Aber wir sind nicht für die Architektur hier. Wir sind wegen der Topografie gekommen. Und die verlangt erst mal Einsatz.
Der Weg rauf auf den Grat ist steil, bekannt – und trotzdem jedes Mal wieder ein kleiner Kampf. «Wer sich im November noch so was antut …», schnaufe ich Michi zu. Wir lachen, keuchen – und zumindest ich muss schieben. Aber irgendwann wird’s flacher. Die Capanna Monte Tamaro taucht auf, wir gönnen uns eine kleine Pause. Über den Bergrücken weht ein kühler Wind, von Norden her. Die schneebedeckten Berge in der Ferne erinnern daran, was kommt. Noch ist Herbst.


Spät im Jahr, früh am Morgen: der Einstieg in die «Endlose Traverse» vom Monte Tamaro in Richtung Arosio


Reichlich Herbstluft unter den Pneus – die Jumplines im «Black Deer Project»


Einfach mal laufen lassen – schnelle Trails auf dem Weg vom Monte Lema nach Astano


Bachdurchquerung am Monte Lema – wenn da nur die Füsse trocken bleiben!
«Jeder Höhenmeter ist ein Abschied – und gleichzeitig Vorfreude auf das nächste Jahr.»
Die grande Traversata
Der Trail entlang des Grats ist ein Gedicht. Die Hänge fallen steil ab, das Panorama öffnet sich. Wir rollen, staunen, atmen. An der Bassa di Indemini beginnt die Abfahrt. La Traversata Infinita hat man diese Route einst getauft: die endlose Querung. Der Name trifft’s. Der Trail schlängelt sich sanft am Hang entlang, verliert kaum Höhe, wechselt aber ständig die Richtung. Enge Kurven, lose Steine, kurze Gegenanstiege. Manchmal braucht’s mehr Technik als Tempo.
Dann plötzlich: Wald. Das Laub wird dichter, die Kurven flüssiger. Wir lassen die Bremsen offen, fliegen durch Kastanienlaub. Die Zeit dehnt sich. Und vergeht zugleich im Geschwindigkeitsrausch. Jeder Abschnitt ein Abschied. Jeder Rock Garden ein kleines Geschenk. «Wie Konserven fürs Trailherz», bringt Jonas es auf den Punkt.


Am Seeufer von Caslano endet die Reise – und die Bike-Saison.


Der Sommer-Dunst hat sich verzogen – im Herbst hat man im Tessin eine viel bessere Fernsicht.
Black Deer zum Dessert
In Arosio wartet das Hotel. Aber wir haben noch nicht genug. «Eine Runde geht noch», sagt Michi mit einem Blick, der keinen Widerspruch duldet. Wir rollen rüber zu den Black Deer Trails. Eine Gruppe Locals hat an den Hängen des Mataron Jumplines gebaut – sauber geshaped, teilweise mit satten Doubles. Wir tasten uns ran, ticken die Kanten an, fliegen. Schwerelosigkeit. Adrenalin. Lachen. Irgendwann lässt die Konzentration nach. Die Vernunft meldet sich und sagt: genug! Wir hören auf sie. Im Hotel-Restaurant erwartet uns ein Fest. Kastanien vom Waldrand, Wein vom Südhang, Käse vom Alpabzug. Herbst in seiner konzentriertesten Form. «Wie die Abfahrt», sagt Jonas und hebt sein Glas. «Wenig Höhenmeter, aber viel Geschmack.»


Chügelibahn in Premiumlage – der gebaute Trail am Monte Lema
Monte Lema als Zugabe
Am nächsten Morgen schlafen wir aus. Ein Vorteil des Herbstes: Es wird eh spät hell. Wach geknipst vom perfekt gebrauten Espresso fahren wir nach Miglieglia. Die Bahn bringt uns auf den Monte Lema. Der Blick öffnet sich: links die herbstlichen Farben des Malcantone, rechts das Blau des Lago Maggiore. «Eine befahrbare Postkarte», murmelt Michi. Ein angelegter Trail folgt dem Rücken. Bald biegen wir ab, hinunter nach Astano. Der Wald wird dichter, das Laub goldener. Der Trail schlängelt sich durchs Verborgene. Der Boden weich, die Kurven eng. Alles wirkt gedämpft, fast meditativ.
Ein stiller Abschied
Bei Astano treffen wir auf die Tresa. Der schmale Trail entlang dem Ufer bringt uns ohne nennenswerte Steigungen nach Caslano. Das Wasser plätschert, die Sonne steht tief. Wir rollen aus. Kein Wort. Nur noch das leise Surren der Reifen. Am Ufer des Lago di Lugano setzen wir uns in die Sonne. Es ist einer dieser seltenen Momente, in denen alles stimmt. Die Beine schwer, das Herz leicht. «Wenn das die letzte Tour des Jahres war, dann war’s eine gute», sagt Michi. Alle nicken. Und schweigen. Noch ein wenig.


Raues Pflaster – unterwegs in den engen Gassen von Miglieglia
Touren Tipps
Monte Lema
Am Monte Lema kann man entweder der ausgeschilderten Bike-Route über den Rücken nach Süden folgen oder aber in westlicher Richtung einen Schlenker über Pradécolo machen und von dort zurück zum Passo di Monte Faeta fahren. Auf diese Weise umfährt man die teilweise erodierten Trails auf dem Grat.
Black Deer Project
Auf der Ostseite des Hügels Mataron/Agra bei Arosio haben Einheimische verschiedene Jumplines geschaufelt. Die Gaps sind mitunter massiv, aber wer gern Luft unter den Pneus hat, der kommt hier voll auf seine Kosten.
Ticino Ticket
Kostenlose Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel im ganzen Kanton. Vergünstigungen bei Bergbahnen, Schifffahrten und touristischen Hauptattraktionen. Webapp my.ticino.ch aufrufen und das Ticino Ticket beim Einchecken in einer von mehr als 500 Partnerunterkünften aktivieren. ticino.ch/ticket
Tessin
Route
Die Tour startet in Rivera und endet in Caslano. Wer es entspannt angehen will, übernachtet in Arosio, Cademario oder Miglieglia. Da aber sowohl die Bergbahnen am Monte Tamaro als auch am Monte Lema Mountainbikes transportieren, ist die Tour für ambitionierte und erfahrene Tourenfahrende auch an einem Tag machbar.
Saison
Monte Lema (1620 m) und Monte Tamaro (1961 m) sind im Hochwinter meist schneebedeckt, die Mountainbike-Saison zieht sich allerdings regelmässig bis in den Dezember.
Übernachten
- Miglieglia: Casa Santo Stefano
Ein liebevoll geführtes Hotel in den Natursteingassen von Miglieglia. In den drei alten, urchigen Tessiner Häusern bietet das Inhaberpaar nicht nur ein grandioses Frühstück, sondern auch Yoga-Retreats!
casa-santo-stefano.ch - Mugena: Hotel Castagno
Hier kann man nicht nur übernachten, sondern auch exquisit speisen: Wer es "wild" mag, bestellt im Herbst den Rehrücken – sowohl für die Augen als auch den Gaumen ein Spektakel!
ilcastagno.ch
Kulinarik
- Arosio: Grotto Sgambada
Ein Grotto in den Wäldern von Arosio. Polenta aus dem Kupferkessel, Kaninchenragout und andere Tessiner Spezialitäten – und das nur einen "Sprung" entfernt von den Black Deer Jumptrails!
grottosgambada.ch - Caslano: Grotto Sassalto
Hier speist man – entsprechende Witterung vorausgesetzt – auf einer Terrasse mit grandiosem Blick auf den See.
grottosassalto.ch - Novaggio: Le Delizie di Titi
Ein Trip ins Tessin ohne Glacé ist wie ein Pneu ohne Stollen: In der Gelateria in Novaggio gibt’s jede Menge Sorten, es gibt sogar Stimmen, die raunen von "der besten Gelateria im Tessin".
ledeliziedititi.ch
Bergbahnen
- Monte Tamaro | Talort: Rivera
Betriebszeiten: durchgehend von 8:30 bis 17:00 Uhr
Einfache Fahrt mit MTB: CHF 26.–
montetamaro.ch - Monte Lema | Talort: Miglieglia
Saisonschluss: 9. November 2025, in der Nebensaison von 8:40 bis 17:10 Uhr, im 30-Minuten-Takt
Tageskarte mit MTB: CHF 53.–, einfache Fahrt mit MTB: CHF 26.–
lemamountain.ch
Bucket List
Wer neue Touren oder für das "Après-Bike" noch Inspirationen in den Kategorien Sportlich, Gelassen, Aussichtsreich und Extravagant sucht, findet saisonale Vorschläge auf der Website von Ticino Turismo.
ticino.ch/bucketlist
ticino.ch | ticino.ch/mtbangebote