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Pinion MGU - Revolution des Antriebs

20.06.2023
Die Evolution der Velo-Kategorie «E-Mountainbike» während der letzten 10 Jahre ist ohne Beispiel. In keine andere Kategorie floss vergleichbar viel Engineering, moderne E-MTBs liefern eine Performance, die Bikes vergangener Modellgenerationen weit in den Schatten stellt. Die neue «Motor Gearbox Unit» des deutschen Schaltungsherstellers Pinion verlässt jedoch endgültig die Kategorie «Evolution» und tritt mit dem Anspruch an, den Schaltvorgang bei E-Mountainbikes zu revolutionieren. Ein erster Test zeigt: die «MGU» fährt erstaunlich nahe am Optimum!
Der Antrieb bei E-Mountainbikes beschleunigt Touren, erweitert den Radius oder kann helfen, Konditionsdefizite zu kaschieren. Doch der Witz bei E-MTBs ist, dass sich mit ihnen die Tourenplanung auf den Kopf stellen lässt. Stichwort: Uphill-Flow. Allerdings sind die Antriebe und vor allem Schaltungen der Bikes dabei extremen Belastungen ausgesetzt. Ein falscher Schaltvorgang kann zu einem Totalversagen des Antriebsstranges führen – Kette und Ritzel sind hier im wahrsten Sinne des Wortes das schwächste Glied. In jedem Falle ist die Schaltung einem Verschleiss unterworfen, der weit über das bei Biobikes Gewohnte hinausgeht. Hersteller wie Shimano und Sram haben sich diesem Problem angenommen und haben Kettenschaltungen entwickelt, die unter den E-MTB-spezifischen Bedingungen besser funktionieren und weitaus verlässlicher sind. Doch hier reden wir von «Evolution». Das grundlegende Funktionsprinzip von E-MTBs, nämlich dass Schaltung und Antrieb zwei unabhängige Funktionssysteme darstellen, wurde nie infrage gestellt.
Pinion MGU - Revolution des Antriebs
Die kompakte Antriebseinheit beherbergt ein 12-Gang Getriebe, baut aber nur unwesentlich grösser als ein normaler Motor.
Pinion MGU - Revolution des Antriebs
Die Kraftübertragung auf das Hinterrad geschieht durch einen Riemen oder eine Kette, die aber keine Schaltfunktion haben.

Motor und Schaltung als Paket

Die «Motor Gearbox Unit» von Pinion wirft eben jenes sehr fehleranfällige Grundprinzip über den Haufen. Bei der MGU kombiniert Pinion einen Antrieb mit nominell 85 Newtonmeter maximalem Drehmoment mit einer gekapselten 12-Gang Getriebeschaltung. Die Kraftübertragung vom Motor auf das Hinterrad geschieht dabei per Riemenantrieb (meistens) oder per Kette (bei dem Modell von Rotwild). Das resultierende All-in-one-Paket baut minimal grösser als ein E-Motor vergleichbarer Leistung, bringt allerdings mit 4100 Gramm Gewicht spürbar mehr auf die Waage als die Antriebe der Konkurrenz. Durch den Wegfall von Schaltwerk und Ritzelpaket wird das Mehrgewicht der Antriebseinheit jedoch relativiert. Auf das Systemgewicht des Bikes hochgerechnet bleibt ein überschaubares Mehrgewicht von etwa 300 Gramm übrig. Dieses Mehrgewicht ist allerdings optimal platziert, nämlich tief und zentral im Bike, wo es sich kaum auf dessen Fahreigenschaften auswirkt. Zum Ausgleich wird die ungefederte Masse am Hinterbau spürbar reduziert, was zu einem sensibler und feinfühliger ansprechenden Hinterbau führt.

Ein weiterer, wenn nicht der grösste Vorteil einer kombinierten Motor-/Schalteinheit ist dessen Wartungs- und Verschleissarmut. Der Riemen oder die Kette dienen hier lediglich der Kraftübertragung auf das Hinterrad – selbst bei gröbsten Schlammfahrten bleibt die Schaltperformance der MGU komplett unbeeinträchtigt. Als Wartungsintervall für die MGU gibt Pinion 10.000 absolvierte Kilometer bis zum kompletten Getriebeölwechsel aus. Für normalsterbliche Mountainbiker bedeutet das: eine Schaltungswartung alle drei oder vier Jahre, maximal. Dies wird umso mehr dadurch begünstigt, dass die Schaltungsvorgänge nicht mehr über Züge, sondern elektronisch eingeleitet werden.
Pinion MGU - Revolution des Antriebs
Engineering pur: Pinion hat seine Wurzeln im Automobilbau, und bringt Techniken aus diesem Bereich aufs Velo.
Pinion MGU - Revolution des Antriebs
Keine Mechanik im Spiel: der Schaltvorgang wird am Remote-Hebel elektronisch ausgelöst und läuft bemerkenswert smooth.

Die Schaltperformance in der Praxis

Dass sich Getriebeschaltungen trotz ihrer Wartungs- und Verschleissarmut bisher nicht bei E-Mountainbikes durchsetzen konnten, hat systembedingte Gründe. Allgemein schneiden Getriebe in der Disziplin «schalten unter Last» schlechter ab als Kettenantriebe. Zum anderen kosten Getriebe, egal ob in der Hinterradnabe positioniert, oder wie bei Pinion im Tretlager, durch ihre innere Reibung ein paar Prozentpunkte an Wirkungsgrad. Im Vorfeld des ersten Praxistests war es daher mehr als spannend zu sehen, wie sich die MGU beim Schalten unter Last verhalten würde. Mit einem Wort: hervorragend.

Durch die Tatsache, dass bei der MGU Schaltung und Antrieb keine zwei voneinander unabhängigen Systeme darstellen, lässt sich der Schaltvorgang über die Steuerungssoftware optimieren. Durch verschiedene Sensoren erkennt das System auch die Stellung der Kurbel, und führt den am Remotehebel elektronisch angeforderten Gangwechsel erst im Totpunkt, also bei senkrecht stehender Kurbel aus. Auch kommt bei der MGU, anders als bei «klassischen» Pinion-Gearboxen, keine Mechanik beim Schaltvorgang ins Spiel – der Gangwechsel selbst wird durch Stellmotoren innerhalb des Getriebes erledigt. In der Praxis führt das zu einem fast schon idiotensicher flüssigen Schaltvorgang, der Kettenantriebe locker outperformt.

Auch der zweite Gearboxen-Nachteil, nämlich der eines geringeren Wirkungsgrades, wird bei Pinion zumindest gefühlt adressiert. Zumindest subjektiv «zieht» die Pinion-MGU auf vergleichbarem Niveau wie die Konkurrenzantriebe von Bosch & Co. Sicher ist es denkbar, dass das Getriebe in der Endabrechnung ein paar Kilometer an Reichweite kosten könnte (das wäre durch einen standardisierten Reichweitentest zu klären). Durch die gute Funktion und die anderen, schon beschriebenen Vorteile des Systems sollte dieser kleine Nachteil, so er sich überhaupt spürbar als solcher auswirken sollte, aber locker zu verkraften sein.
Pinion MGU - Revolution des Antriebs
Durch den Wegfall von Schaltwerk und Ritzelpaket wird viel ungefederte Masse vom Hinterbau genommen.
Pinion MGU - Revolution des Antriebs
Das Mehrgewicht des Getriebes sitzt zentral im Bike. Das Ergebnis ist ein gutes Handling und ein sensibel ansprechender Hinterbau.

Haare in der Suppe …?

Vorab gesagt: die hier beschriebenen Fahreindrücke basieren auf einem Test von Vorserienmodellen. Es wird interessant sein zu sehen, was sich bis zur Markteinführung der Serienbikes noch getan haben wird.

Auffällig ist, dass bei der MGU nicht jeder Schaltvorgang gleich glatt abläuft. Tatsächlich arbeitet im Inneren der Schalteinheit kein 1x12 Getriebe, sondern zwei hintereinander geschaltete, unabhängige Getriebe-Einheiten mit drei bzw. vier Positionen. Vom Prinzip her funktioniert das wie eine klassische Kettenschaltung mit drei Kurbelblättern und vier Ritzeln. In der Praxis müssen also beim Wechsel vom vierten in den fünften und vom achten in den neunten Gang beide Getriebe einen Schaltvorgang durchführen, was diese beiden Gangwechsel etwas träger macht als die anderen. Auch quittiert der Motor diese beiden Schaltvorgänge mit einem deutlich veränderten Laufgeräusch, das man, überzogen formuliert, als ein «Aufheulen» bezeichnen könnte. Aber keine Sorge: Insgesamt ist das Betriebsgeräusch zwar etwas höher als bei manch anderen Antrieben, bleibt jedoch immer in einem relativ dezenten und absolut akzeptablen Bereich.

Eine weitere spannende, beim Mountainbiken aber nicht immer praxisgerechte Funktion der MGU ist die sogenannte «Start Select» Automatik. Hier lässt sich über die App der Gang auswählen, der im Stillstand automatisch angewählt wird und so das Anfahren erleichtern soll. Bei einem Ampelstopp ist das eine super Sache. Beim Mountainbiking ist aber je nach Gelände die Wahrscheinlichkeit doch recht hoch, dass der vorausgewählte Gang für das Gelände nicht geeignet ist. Sicher lässt sich diese Funktion jederzeit manuell «überstimmen». In der Praxis, oder zumindest im technisch anspruchsvollen Gelände, wird diese Funktion wohl kaum zum Einsatz kommen.

Ähnlich verhält es sich mit der Halbautomatik-Funktion, die sich ebenfalls optional nutzen lässt. Hier wählt man im Menü einen gewünschten Kadenzbereich vor – das System führt dann abhängig von der aktuellen Geschwindigkeit auch in Abfahrten und ohne Kurbelbewegungen ständig Schaltvorgänge durch. Dadurch soll jederzeit der richtige Gang anliegen, mit dem sich bei erneutem Pedalieren die ausgewählte Kadenz erreichen lässt.

Im welligen XC-Gelände und ohne grössere Temposchwankungen ist das durchaus interessant und funktioniert. Im fahrtechnisch anspruchsvollen Gelände wird diese Funktion aber leicht etwas enervierend. So orchestriert das System etwa ein hartes Abbremsen vor einer Schlüsselstelle mit einem hörbaren Schaltvorgang, teils auch über mehrere Stufen. Sicher ist das hauptsächlich ein «akustisches Problem», das aber dennoch manches Stirnrunzeln auslöst. Doch auch hier sollte man relativieren: Das «Problem», wenn man es als ein solches empfinden will, tritt hauptsächlich in schwierigem Gelände auf. Man darf unterstellen, dass Rider, die ein solches Gelände suchen, in der Regel eher manuelle Schaltvorgänge vorziehen werden.
Pinion MGU - Revolution des Antriebs

Unter dem Strich

Eine in jeder Situation zu 100 Prozent funktionierende und zu Null Prozent Kritik Anlass gebende Schaltung hat auch Pinion nicht erfunden. Wohl aber ein integriertes System, welches das Zeug zu einem echten «Gamechanger» hat und manch nervige Nachteile von Kettenschaltungen Vergangenheit werden lässt. Abgerissene oder verbogene Schaltwerke, Kettenrisse oder -Springen, oder die ungeliebte Reinigung des Antriebs sind mit dem Pinion Motor Gearbox Antrieb kein Thema mehr. Zu den beschriebenen Kritikpunkten sei nochmals hinzugefügt, dass sich vieles davon auf die Software eines Vorserienmodells bezieht, und sich mit einem Firmware-Update adressieren lässt.

Fazit: Die Pinion MGU ist ein grosser Wurf mit dem Potenzial, noch besser zu werden, wenn einige der kleinen Problemstellen vor der Markteinführung noch angegangen werden. Wer ein neues E-MTB sucht, sollte ein Pinion-Bike unbedingt antesten!

Mehr Infos:https://pinion.eu/en/e-drive

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