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Text: Ralf Glaser | Foto: Ralf Glaser
27.09.2024
Beim Kauf eines E-Mountainbikes stellt sich mittlerweile die Frage nach der gewünschten Unterstützung: Low, Mid oder gar Full Assist? Sie ist gar nicht so einfach zu beantworten, denn alle Motorenkonzepte haben ihre Vor- und Nachteile. Wir haben ganz bewusst Äpfel mit Birnen verglichen und drei E-MTBs mit verschiedenen Antrieben auf den Trail gejagt – die Erkenntnisse unseres Selbstversuchs.
So lange ist es noch gar nicht her, dass sich E-Mountainbike-Nutzende schnell in einer Schublade wiederfanden. «Hat wohl keine Kondition», lautete das vernichtende Urteil. «Und mit der Fahrtechnik ist es offensichtlich auch nicht weit her!» Ein Urteil, das keiner gerne hört. Umso mehr, als in solchen Aussagen – wie in den meisten Stereotypen – oftmals ein kleines Quäntchen Wahrheit steckt. Ja, ein elektrischer Motor am MTB hilft nicht nur dabei, Anstiege weitaus schneller zu bewältigen, als es mit einem Push-Bike selbst bei bester Kondition möglich wäre. Darüber hinaus reichen zusätzliche 250 Watt Dauerleistung problemlos aus, um konditionelle Defizite gekonnt zu kaschieren.

Links: Mit seinem Drehmoment von 55 Nm ist der Bosch SX der perfekte Antrieb für verspielte Downcountry Bikes. Mitte: Das Simplon Rapcon PMax TQ ist ein waschechter Enduro-Bolide, dem der TQ-Antrieb zusätzliche Flügel verleiht. Rechts: Kein Terrain zu steil: Dank 170 mm Federweg und Bosch-CX-Antrieb ist man mit dem Ibis Oso für alle Situationen gewappnet.

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Links: Mit seinem Drehmoment von 55 Nm ist der Bosch SX der perfekte Antrieb für verspielte Downcountry Bikes. Mitte: Das Simplon Rapcon PMax TQ ist ein waschechter Enduro-Bolide, dem der TQ-Antrieb zusätzliche Flügel verleiht. Rechts: Kein Terrain zu steil: Dank 170 mm Federweg und Bosch-CX-Antrieb ist man mit dem Ibis Oso für alle Situationen gewappnet.

Grosse Entwicklungsschritte

Die Zeiten haben sich geändert. «Es ist schon krass, welche Evolution E-Mountainbikes in den letzten fünf, sechs Jahren hingelegt haben», kommentiert Gabriel Schmidt. «Mit den aktuellen Bikes lässt sich die Kraft im Uphill viel besser kontrollieren. Auf dem Trail wollen sie schon noch aktiver gefahren werden als ein Push-Bike. Aber dafür liegen sie super satt und verleiten zum Fahren mit offener Bremse!» Mit dem gängigen Klischeebild des physisch oder fahrtechnisch defizitären E-Mountainbikers hat Gabriel ganz offensichtlich nichts gemein. Wenn sich der 25-Jährige nicht gerade auf Events wie den Crankworx im Dualslalom battelt, rollt er mittlerweile sehr gerne auch bei einem E-MTB-Rennen an den Start. Für Gabriel persönlich ist die Wahl des Arbeitsgerätes daher eindeutig: Ein Bike wie das Ibis Oso muss es sein. Ein reinrassiges Carbon-Enduro mit potenten 170 Millimetern Federweg an der Front, ausgestattet mit einem Full Power Motor. Im Falle des Oso ist der Performance Line CX Antrieb von Branchenprimus Bosch verbaut, der genretypisch 250 Watt Dauerleistung und ein maximales Drehmoment von 85 Newtonmetern liefert. «Die Powerstages bei den E-Bike-Rennen sind so hart, da geht ohne maximale Unterstützung gar nichts», erklärt Gabriel. «Aber viel Schub benötigt viel Strom, ergo braucht man grosse Akkus und damit hat man ein schweres Bike.» Für Gabriel ist das kein Problem. Schliesslich kämpft die Konkurrenz mit demselben Material, was Chancengleichheit herstellt. Auf dem Ibis Oso fühlt sich Gabriel daher auf Anhieb wohl. «Der Bosch CX hat Power ohne Ende, die sich aber gut dosieren lässt. Mit dem Oso meisterst du jeden Uphill, obwohl das Fahrwerk eigentlich eher bergabwärts orientiert ist. Sehr smooth und ausbalanciert. Ein klassisches Shuttle-Bike!»
Bikes wie das Ibis Oso zeigen eindrucksvoll das Quantum an Entwicklungsaufwand, das in aktuellen E-Mountainbikes steckt. Moderne Kinematiken sorgen für eine hohe Traktion im Uphill, ohne die die Kraft der Motoren wirkungslos verpuffen würde. Und sie kombinieren dies mit einer Wendigkeit und Schluckfreudigkeit, von denen man noch vor wenigen Jahren nur träumen konnte. Gleichzeitig kannte die Vorgabe an die Entwickler lange Zeit nur eine Richtung: höher, schneller, weiter. Durch den beginnenden E-Bike-Massenmarkt wurden Batteriezellen zunehmend bezahlbarer, was sich herstellerübergreifend in immer grösseren, serienmässig verbauten Akkus widerspiegelte. Der «Reichweitenangst» vieler E-Mountainbiker wurde dadurch viel Boden entzogen. Doch das grundlegende Problem des Produkts «E-Mountainbike» bleibt bis heute ungelöst, oder verschärfte sich sogar: Das im Vergleich zu einem Push-Bike erheblich höhere Eigengewicht des Bikes. Bei allem Engineering lässt sich ein mit einem «Full Power Motor» angetriebenes E-Mountainbike selbst mit Carbonrahmen und einer sündhaft teuren Luxusausstattung kaum je unter die 22-Kilogramm-Marke drücken. Oft genug kommen solche Bikes mit soliden 26 Kilo Gewicht daher. Was bei einem ausgewachsenen Sportler mit 80 Kilo Körpergewicht noch angehen mag, überfordert Leichtgewichtigere schnell. Denn spätestens, wenn das Bike mehr als ein Drittel der eigenen Masse auf die Waage bringt, sieht sich der Pilot schnell zum Passagier des Bikes degradiert.
Heute Standard: Jeder Motor lässt sich per App auf die individuellen Bedürfnisse feintunen.
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Low Assist – die Lösung?

Die auf den ersten Blick einleuchtende Lösung heisst «Low Assist Motor». Die Überlegung: ein Motor mit weniger Leistung lässt sich leichter bauen, und verbraucht auch weniger Strom. Dadurch kann auch die Batterie schrumpfen, was in der Summe mit solchen Antrieben ausgestatteten Bikes zu einer erheblichen Diät verhilft. Ein typischer Vertreter dieser Gattung ist der HPR 50 Antrieb des bayerischen Herstellers TQ, der in unserem Testbike Simplon Rapcon PMax TQ verbaut ist. Anders als das Ibis ist das Simplon auf den ersten Blick kaum als E-Mountainbike zu identifizieren. Und auch dank des verbauten Akkus mit lediglich 360 Wattstunden Kapazität spielt das Rapcon PMax TQ gewichtstechnisch in einer völlig anderen Liga: Durch den Minimalismus im Antrieb lassen sich im Vergleich zum Ibis Oso gut fünf Kilogramm einsparen. Unterschiede zu einem Bike mit einem Antrieb auf CX Niveau zeigen sich aber auch überdeutlich in Sachen Leistungsdaten. Seine Maximalleistung von 280 Watt (gegenüber 550 Watt beim Bosch CX) kombiniert der TQ-Antrieb mit einem vergleichsweise mageren Drehmoment von knapp 40 Newtonmetern, also weniger als die Hälfte seines Fullpower-Konkurrenten.
Im direkten Vergleich wirkt dieser Unterschied fast schon ernüchternd – vor allem natürlich im Uphill. «Im steilen Gelände habe ich gefühlt kaum mehr Power als mit einem Push-Bike», gibt Gabriel zu Protokoll. «Und ob der Akku eine volle Renndistanz durchhält, ist doch mehr als fraglich!» Auf dem Trail jedoch relativiert sich die anfängliche Skepsis schnell. «Wow, das Rapcon ist ja ein reinrassiges Enduro-Trailbike. Das Fahrwerk ist extrem verspielt und fast so agil wie ein Push-Bike!» Also in der Summe ein tragfähiger Kompromiss? «Für mich nicht. Aber ich bin auch über 1,90 Meter gross, und bringe ein entsprechendes Körpergewicht mit», gibt Gabriel zu bedenken. «Eine Gewichtsersparnis von fünf Kilo am Bike macht sich da weniger bemerkbar als eine Halbierung der Motorleistung. Bei kleineren und leichteren Personen dürfte das Fazit ein anderes sein. Der TQ ist halt ein Antrieb für Rider, die trotz E-Bike gerne sportlich und mit hoher Eigenleistung unterwegs sind!» Diese Beobachtung deckt sich im Übrigen explizit mit den Aussagen vieler Profi-Racer. So lässt sich etwa ein Mathias Flückiger mit seinen 65 Kilo Kampfgewicht im Training nicht selten von einem Maxon Bikedrive Air Antrieb mit vergleichbaren Leistungsdaten befeuern. Bikern dieser Leistungsklasse hilft ein Light-Antrieb, die Belastung bei Ausdauereinheiten effektiv zu steuern.
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«Alle Motoren haben ihre Vor- und Nachteile. Und ausserdem kann man einen Antrieb nicht isoliert von dem Bike sehen.»
Daniel Schwenk
E-MTB Racer

Der goldene Mittelweg?

Wem Light-Antriebe zu schwach und Fullpower-Bikes zu schwer sind, wird eventuell in der noch relativ neuen Kategorie der Mid-Assist Motoren fündig. Ein, wenn auch nicht ganz typischer Vertreter dieser Kategorie ist der Performance Line SX Antrieb von Bosch, der in unserem Testbike Bergstrom Flow 1 verbaut ist. Mit seinem maximalen Drehmoment von 55 Newtonmetern liegt der SX zwar näher am TQ als an seinem grossen Bruder CX. Bei hohen Trittfrequenzen allerdings wirft der Wolf seinen Schafspelz ab: Dann nämlich spielt der SX-Antrieb mit seiner Maximalleistung von annähernd 600 Watt fast schon in einer Liga mit den grossen Motoren. Dank eines Eigengewichts von knapp zwei Kilogramm und in Kombination mit einem 400-Wh-Akku, der sich optional mit einem Range Extender erweitern lässt, erlaubt auch der SX-Motor den Bau relativ leichter E-Mountainbikes. Mit 130 Millimetern Federweg und einem Viergelenker Horstlink Hinterbau bringt das Flow 1 nur wenig mehr als 20 Kilo auf die Waage. Es weiss dabei mit seinen Fahreigenschaften zu überzeugen. «Das Flow 1 ist ein schönes Downcountry-Tourenbike mit einer extrem guten Kraftübertragung und direktem Feedback», ist Gabriel erfreut. «Im Sprint macht der SX-Motor ganz schön Alarm, und wenn man steile Anstiege mit einer hohen Trittfrequenz angeht, gibt der kleine Motor eine erstaunlich gute Leistung ab!» Und welches Konzept hat nun die Nase vorne? Gibt es einen Sieger? «Schwierig zu sagen», meint Gabriel. «Alle Motoren haben ihre Vor- und Nachteile. Und ausserdem kann man einen Antrieb nicht isoliert von dem Bike sehen, in das er eingebaut ist. Bei einem anderen Bike kann sich derselbe Motor komplett anders anfühlen. Da hilft nur Ausprobieren und Testfahren!» Und wenn er aus dem Testfeld auswählen dürfte – welches Bike würde er dann nehmen? Da muss Gabriel nicht lange nachdenken. «Alle. Ist doch klar!»

Marktübersicht

Light-Assist
Light-Antriebe erlauben den Bau leichter E-MTBs mit 16 bis 19 Kilo Gesamtgewicht. Dies wird zum einen durch das geringe Eigengewicht der Motoren von um die 1,9 Kilo erreicht, aber auch durch den Einsatz von Akkus mit limitierter Kapazität. Bei voller Unterstützung ist die Reichweite solcher Bikes überschaubar. Allerdings sind die Zielgruppe solcher Antriebe entweder leichtgewichtige Fahrer, oder aber Leistungsorientierte, welche die Unterstützung der Motoren für eine effiziente Trainingssteuerung nutzen. Auf der Habenseite von Light-Assist-Antrieben ist deren unauffälliges Auftreten. Damit ausgestatteten Bikes sieht man das «E» erst auf den zweiten Blick an. Auch bestechen diese Motoren mit einem kaum hörbaren Betriebsgeräusch.
TQ HPR 50
Gewicht: 1,85 kg
Drehmoment: 48 Nm
Akkus: 360 Wh + Range Extender: 160 Wh 
Spitzenleistung: 280 W
Maxon BikeDrive Air
Gewicht: 1,9 kg
Drehmoment: 40 Nm
Akkus: 250, 360 Wh + Range Extender: 250 Wh
Spitzenleistung: 300 W
MID-Assist
Die jüngste Kategorie der E-MTB-Motoren versucht den Spagat zwischen leichtem Gewicht und hoher Leistungsfähigkeit. Ihr Drehmoment liegt in etwa in der Mitte zwischen den beiden Extremen. Bei einer höheren Trittfrequenz und mehr Eigenleistung geben diese Motoren aber eine Leistung ab, die fast schon an die der Full-Assist-Motoren heranreicht. Eine Gewichtsersparnis des Bikes wird in dieser Kategorie vor allem durch den Einsatz von Akkus mit relativ geringer Kapazität (um die 400 Wh) erreicht. Für eine höhere Reichweite lassen sich sogenannte Range Extender mit rund 250 Wh nutzen. Damit kommen Mid Assist Bikes auf eine den Full-Power-Motoren vergleichbare Reichweite. Allerdings geht so der Gewichtsvorteil zum Teil wieder verloren. Bikes dieser Kategorie wiegen typischerweise zwischen 20 und 22 Kilo und richten sich an aktive Fahrer, die gerne sportlich und mit mehr Eigenleistung fahren.
Bosch Performance Line SX
Gewicht: 2,0 kg
Drehmoment: 55 Nm
Akkus: 400 Wh + Range Extender: 250 Wh 
Spitzenleistung: 600 W
Fazua Ride 60
Gewicht: 1,96 kg
Drehmoment: 60 Nm
Akkus: 430 Wh + Range Extender: 210 Wh 
Spitzenleistung: 450 W
Full-Assist
Diese Motoren-Kategorie hätte man vor nicht allzu langer Zeit als «Standard» bezeichnet. Sie liefern ein maximales Drehmoment von rund 85 Newtonmetern und schieben die Fahrer mit der höchsten erlaubten Dauerleistung von 250 Watt an. Ihren Stromhunger stillen diese Motoren aus Akkus mit meist zwischen 630 bis 750 Wattstunden, vereinzelt sind auch Akkus bis 900 Wh Kapazität erhältlich. Eine Sonderstellung in dieser Kategorie nimmt der Motor von Pinion ein. Dieser ist zwar mit Abstand der schwerste Motor, hat aber bereits ein Schaltgetriebe integriert. Mit solchen Antrieben lassen sich potente Bikes auf die Stollen stellen, die allerdings auch ihr Gewicht haben. Selbst sehr hochwertig ausgestattete E-Mountainbikes mit Full-Assist-Antrieb bringen typischerweise um die 24 Kilo und mehr auf die Waage.
Bosch Performance Line CX
Gewicht: 2,9 kg
Drehmoment: 85 Nm
Akkus: 750, 625 Wh
Spitzenleistung: 600 W
Giant SyncDrive Pro2
Gewicht: 2,75 kg
Drehmoment: 85 Nm
Akkus: 400, 625, 800 Wh
Spitzenleistung: 500 W
Pinion MGU E 1.12
Gewicht: 4,1 kg (inklusive Schaltgetriebe)
Drehmoment: 80 Nm
Akkus: 720, 962 Wh
Spitzenleistung: 640 W
Shimano EP801
Gewicht: 2,65 kg
Drehmoment: 80 Nm
Akkus: 504, 630 Wh, von Drittherstellern bis 900 Wh
Spitzenleistung: 540 W
Sram Eagle Powertrain
Gewicht: 3,1 kg
Drehmoment: 87 Nm
Akkus: 630, 720 Wh
Spitzenleistung: 550 W
Yamaha PW-X3
Gewicht: 2,75 kg
Drehmoment: 85 Nm
Akkus: 630 Wh
Spitzenleistung: 500 W

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