Che bello! Abseits vom Trail-Trubel am Nordende des Gardasees bietet das Hinterland von Tremosine am Westufer idyllisches Bilderbuch-Italien. Ein Entdecker-Trip für Freunde knackiger Enduro-Strecken, spannender Flowtrails und unwiderstehlicher Pasta- und Polenta-Gerichte.
Kehre um Kehre schraubt sich der Karrenweg die Berge im Hinterland des Gardasees hinauf. «Wie oft war ich eigentlich schon am Gardasee?», schiesst es mir während der meditativen Kurbelei durch den Kopf. Vierzigmal, fünfzigmal? Vielleicht ein paar Mal zu viel. Jedenfalls wurden die Besuche in den vergangenen zehn Jahren immer weniger. Ich wollte andere Regionen kennenlernen. Trails für mich entdecken, anstatt im Mountainbiker-Rummel rund um Riva und Torbole mitzuschwimmen. Doch weshalb soll es nicht auch am Hotspot Gardasee noch neue Trails zu entdecken geben – quasi off the beaten track?
Hinterland: Oberhalb von Tremosine warten feine Bike-Trails.
Der breite Weg wird schliesslich zum Singletrail, der Wald lichter. Er gibt umwerfende Blicke auf den See frei. Da ist er – der Lago! Schnell stellt sich der alte Zauber wieder ein. Ein Zauber, der mit der legendären Tremalzo-Tour vor fast 30 Jahren begonnen hat. Für mich war das damals eine meiner ersten Mountainbike-Touren überhaupt – mit Hardtail und Starrgabel. Ein kleines Abenteuer auf Schotter. Heutzutage, im Zeitalter von vollgefederten Mountainbikes, liegt die Faszination eher in der Landschaft und im immer noch beeindruckenden Panorama. «Was wäre, wenn es so etwas wie die Tremalzo-Tour als Singletrail-Tour gäbe?», überlege ich. Und schon bin ich mittendrin in der Tour am Monte Zenone. Der Trail ist jetzt flacher, schlängelt sich an der Südwestflanke entlang zwischen Kiefern, Buchen, Felswänden und Steilabbrüchen. Zwischendurch geht es durch enge, dunkle Tunnels. Wie der Tremalzo-Pass ist der Weg ein Relikt aus dem Ersten Weltkrieg, aber deutlich weniger breit, angelegt als Maultierpfad und Versorgungslinie für die Truppen.
Bella Italia: Tremosine mit seinen im Hinterland verstreuten Ortsteilen zählt zu den schönsten Ecken Italiens.
Entdecker-Touren abseits der Hotspots
Seit wir die von Vesio kommende Strasse verlassen haben, haben wir keinen Menschen mehr getroffen. Und das am Touristen-Hotspot Gardasee? Kaum zu glauben. Plötzlich ist sie wieder da, die Faszination aus Mountainbiken und Dolce Vita, die mich so oft an den Gardasee gelockt hat. Und auch der Entdeckerdrang stellt sich auf den Trails im ruhigen Hinterland schnell wieder ein. Tatsächlich gibt es sie noch, die ruhigen Ecken am Lago. Mit Trails, die noch nicht zig-tausendfach befahren sind. Doch die sind gar nicht so einfach zu finden. Ein Blick auf die Karte zeigt zwar viele Wege, aber welche sind gut und sicher fahrbar? Viele der Singletrails runter zum Gardasee sind selbst für Wanderer eine Herausforderung – ausgesetzt und mit Absturzgefahr an Steilabbrüchen. Bestes Beispiel: der Dalco Trail. Über den schrieb Bike-Guide-Pionier Elmar Moser vor fast 30 Jahren: «Der absolute Kamikaze-Trail der Region!! Normal-Biker sollten sich auf weitgehendes Schieben einstellen. Nur für leicht Verrückte, die solche Mutproben mögen, ein Superrutsch!» Bei der Frage nach Alternativen zu den altbekannten Trails am Nordende des Gardasees müssen selbst eingefleischte Lago-Afficionados oft passen.
Traumpanorama: Der Monte Bestone zählt zu den Top-Panorama-Spots am Gardasee.
Gipfel mit Aussicht: An Seeblicken herrscht auf den Tremosine-Trails kein Mangel.
Auf der Suche nach passenden Trails stosse ich im Vorfeld dieses Gardasee-Trips auf David Gamperl. «Ich habe einen grossen Teil meiner Kindheit hier verbracht», erzählt der 27-Jährige beim Hochkurbeln. Seine Eltern waren nach Vesio gezogen. Sie sagen, David konnte Rad fahren, bevor er laufen konnte. Bei gutem Wetter tobte er sich nach der Schule jeden Tag im Wald auf dem Bike aus und baute im Val de Maroc seine ersten Trails. Entsprechend kennt er die Gegend wie seine Westentasche. Nach der Rückkehr nach Deutschland, seinem Schulabschluss und seiner Ausbildung zum Zimmermann ist David mittlerweile wieder zurück in Vesio, zusammen mit seiner Freundin Kathi. Die beiden arbeiten als Canyoning- und Mountainbike-Guides. Kathi war anfangs skeptisch. Auch sie kannte den Gardasee von Familienurlauben mit ihren Eltern. «Ich hatte immer die Touristenmassen unten am See im Kopf», erzählt sie. «Aber das Leben hier oben, 700 Höhenmeter über dem Lago, ist ein anderes. Obwohl auch hier die meisten vom Tourismus leben, ist der Takt der Tage langsamer, das Leben ursprünglicher.»
«Incredibile – traumhafte Trails mit unvergesslichen Ausblicken hoch über dem Gardasee.»
Herausforderung für Könner
Zurück zur Tour: Die Abfahrt vom Monte Zenone ist ein Traum. Flowige Kehren schrauben sich hinab ins Valle Pra delle Noci. «Das ist keineswegs überall hier so», stellt David hinterher bei einer Verschnaufpause an der Einsiedelei San Michele klar. «Was das Gebiet auszeichnet? Unschlagbare Ausblicke auf den See und eine gute Portion Abenteuer-Feeling …», sagt David und ergänzt, «… und Stolper-Biken.» David lacht. Dann erklärt er: «Alles, was nicht unter die Kategorie Schotterweg fällt, wird schnell mal recht steil hier am Gardasee und bisweilen auch verblockt.» Das liegt daran, dass die Wege angelegt wurden, um schnell Höhenmeter zu überwinden. Dazu kommen teils loser, grober Schotter und enge Spitzkehren. «Nur nach Karte zu fahren, und zu hoffen, dass der Trail fahrbar ist, kann ein Lotteriespiel sein», weiss David aus eigener Erfahrung. Trotzdem gibt es sie, die lohnenden Trails im Hinterland. «Du musst sie nur finden», sagt David augenzwinkernd. Vor knapp zehn Jahren hat er angefangen, die Trails in der Region um Tremosine auf der App Trailforks zu dokumentieren. Mittlerweile ist daraus eine üppige digitale Bibliothek entstanden. «Als Biker solltest du hier keine perfekt geshapten Flowtrails erwarten», meint David, «aber genau das ist doch das Schöne. Hier gibt es noch was zu entdecken.» Dafür eignet sich das E-MTB perfekt. «Es erleichtert die knackigen Anstiege enorm», weiss auch Kathi die Motorunterstützung zu schätzen.
Wow-Faktor: Schon die Auffahrt zum Monte Zenone ist ein Erlebnis
Tremalzo-Alternative für Trail-Fans: Der Monte Zenone bietet jede Menge flowige Singletrails.
Und Action: Die Wald-Trails am Fuss der Dalvra Alta bieten auch ein paar Drops für Könner.
Traum für Geniesser
Dennoch ist das in vielen Reiseführern als schönster Ort Italiens beschriebene Tremosine durchaus etwas für Geniesser. Zum Panorama-Klassiker Passo Tremalzo (1668 m) sind es von Tremosine aus durchs Valle del Bondo deutlich weniger Höhenmeter als vom Startpunkt Riva. Und auch in tieferen Etagen warten traumhafte Runden mit faszinierenden Seeblicken. Eines der Highlights ist der Abstecher auf den Monte Bestone bei Campi (917 m) – zu einem der spektakulärsten Panorama-Spots am Gardasee. Den Lago in Adlerperspektive aus fast 900 Höhenmetern über dem See zu geniessen, ist genauso ein Leckerbissen wie Kaninchen, Fasan, Trüffelrisotto oder hausgemachte Pasta beim Dinner in einem der zahlreichen kleinen Restaurants in den 18 Gemeinden von Tremosine. Wer die Trail-Abfahrt auf der Bestone-Nordseite mit einigen hakeligen Spitzkehren scheut, kann bequem auf dem Forstweganstieg zurückfahren.
Un caffè per favore: Der Bestone Bici Grill mit Verleih und Bike-Werkstatt ist gleichzeitig auch Biker-Treff nach der Tour.
Lago-Blick: Nicht nur auf der Tour am Monte Bestone ist der Gardasee allgegenwärtig.
«PERFETTO – CHARMANTE WEGE AUF DEN SPUREN DER VERGANGENHEIT VERBINDEN DIE URIGEN DÖRFER DER 18 ORTSTEILE VON TREMOSINE.»
Ein weiterer Bella-Italia-Klassiker wäre die Abfahrt von Tremosine durch die Brasa-Schlucht zum See – die weltbekannte Strada della Forra. Die durch Schluchten und Felstunnels mäandernde Strasse war 1913 die erste Strasse, die die Dörfer um Vesio und Pieve mit dem See verband. Berühmtheit erlangte sie nicht zuletzt 2008 durch eine Verfolgungsjagd im James-Bond-Thriller «Ein Quantum Trost» mit Daniel Craig. Sie gilt als eine der faszinierendsten Strassen der Welt. Leider ist sie aktuell wegen Einsturzgefahr eines Tunnels und möglicher Felsstürze gesperrt. Ob und wann wieder mit einer Öffnung der Route zu rechnen ist, steht noch in den Sternen. Doch schon ein Abstecher zum Eingang der Schlucht bei der Pizzeria La Forra ist einen Ausflug wert. Eine bizarre, geschwungene Steinbrücke führt über den mit Lianen und Kletterpflanzen umwucherten Canyon. Da stört es nicht einmal, dass die Route auf Asphalt verläuft.
Dschungelbuch-Atmosphäre: die Brücke am Schluchteneingang der gesperrten Strada della Forra
Bella Italia für Biker
«Nur selten schraube ich mich vom Seeniveau 2000 Höhenmeter hinauf auf die höchsten Gipfel», gibt David zu. Am meisten liebt er das Auf und Ab auf dem von Bergrücken und Tälern durchzogenen Hochplateau von Tremosine. Auch hier wechseln grandiose Aussichtspunkte mit kulturellen Highlights. Die Berghänge in der Nähe der Dörfer sind oft terrassiert. Früher gab es viel Obstanbau. Einige Wege entstanden als Zugang zu den Öfen lokaler Kalkbrenner. Und an den Bächen finden sich noch alte Mühlen. Bei Val di Brasa trieben sie einst Maschinen zum Schmieden grosser Nägel an. Diese Trails sind überwiegend flowig, auch wenn es hin und wieder kurze, steile Rampen zu meistern gilt. In diesen sieht David noch viel Potenzial für die Zukunft. «Die kleinen Trails in Dorfnähe haben Charme, sind schnell erreichbar und führen hinein in ein noch relativ ursprüngliches Stück Bella Italia.» Mit ein paar Investitionen in die Trail-Pflege und guter Beschilderung könnte Tremosine genau das bieten, woran es am nördlichen Gardasee mangelt: nicht überlaufene, leicht zu fahrende Trails mit Lago-Flair.
»Und das wäre erst ein Anfang», sinniert David. Wie an weiter nördlich gelegenen Bike-Spots der Alpen könnte er sich auch Mehrtagestouren gut vorstellen – mit Übernachtung auf einer Almhütte. Die Infrastruktur und das entsprechende alpine Terrain hätte das Hinterland von Tremosine. Als Beispiel nennt David die Biketour zum Monte Caplone. Monte wie? Kaum einer kennt den Caplone, dabei ist er nur zwei Bergkämme vom Monte Tremalzo entfernt und mit 1976 Metern sogar drei Meter höher als der Paradegipfel. «Dort bist du so gut wie allein», weiss David. Wo gibt es das schon am Gardasee? «Wenn du hierherkommst, eine solide Fahrtechnik und ein bisschen Abenteuergeist mitbringst, ist viel möglich», ist David überzeugt. Genau deshalb hat er Tremosine vor zwei Jahren zu seiner alten neuen Heimat auserkoren.
»Und das wäre erst ein Anfang», sinniert David. Wie an weiter nördlich gelegenen Bike-Spots der Alpen könnte er sich auch Mehrtagestouren gut vorstellen – mit Übernachtung auf einer Almhütte. Die Infrastruktur und das entsprechende alpine Terrain hätte das Hinterland von Tremosine. Als Beispiel nennt David die Biketour zum Monte Caplone. Monte wie? Kaum einer kennt den Caplone, dabei ist er nur zwei Bergkämme vom Monte Tremalzo entfernt und mit 1976 Metern sogar drei Meter höher als der Paradegipfel. «Dort bist du so gut wie allein», weiss David. Wo gibt es das schon am Gardasee? «Wenn du hierherkommst, eine solide Fahrtechnik und ein bisschen Abenteuergeist mitbringst, ist viel möglich», ist David überzeugt. Genau deshalb hat er Tremosine vor zwei Jahren zu seiner alten neuen Heimat auserkoren.
Alte Gassen: Örtchen wie Vesio atmen urigen Charme.
TREMOSINE AM GARDASEE
Charakter
Die Region um Tremosine am westlichen Gardasee bietet Bike-Touren in allen Schwierigkeitsgraden. Auf vielen Routen warten grandiose Blicke auf den See. Die Bike-Infrastruktur ist weniger entwickelt als am Nordende des Gardasees – mit dem Vorteil, dass die Trails deutlich weniger frequentiert sind. Eine gute Fahrtechnik ist auf den teils schottrigen Untergrund von Vorteil. Dennoch kommen auch Einsteiger und Genussbiker auf ihre Kosten.
Ideales Bike
Wie so oft am Gardasee sind die Anstiege bisweilen steil und kraftraubend, wenn es in höhere, alpine Regionen geht. Dafür sind E-Bikes erste Wahl. Alternativ sollte man eine sehr gute Kondition mitbringen. In mittleren Lagen im Bereich der Ortsteile Pieve, Vesio, Villa und Campione sind auch weniger höhenmeterreiche Touren möglich, die sich bei halbwegs guter Fitness gut mit herkömmlichen Mountainbikes absolvieren lassen.
Saison
Die besten Zeiten sind von Ende April bis Ende Juni und von September bis Anfang November. In den Sommermonaten Juli und August heisst es früh aufzubrechen, um der Hitze der Hochsommertage zuvorzukommen. Die weniger hoch gelegenen Touren sind oft sogar im Winter fahrbar. Dann hat man die Trails garantiert für sich allein.
Übernachten
Tremosine mit seinen 18 Gemeinden bietet jede Menge Hotels, Ferienwohnungen und Pensionen. Viele Unterkünfte bieten spezielle Angebote für Biker, wie zum Beispiel sichere Abstellmöglichkeiten. tremosinesulgarda.it
Guiding & Verleih
Wer gerne mit Guide unterwegs ist, kann ganz einfach mit einem der Local Guides gemeinsam Tremosine entdecken und die Region kennenlernen. Auch MTBs und E-MTBs können bei mehreren Verleihen gemietet werden, die meist auch Reparaturdienste anbieten.
Und Sonst?
Neben zahlreichen Bike Trails bietet die Region auch ein Paradies für viele anderen Outdoor-Sportarten wie Canyoning, Kiten, Windsurfen, Wingfoil, Stand-up-Paddeln, und Klettern.
Infos
Touren
Tour Tremalzo:
Der Schotterstrassen-Klassiker Passo Tremalzo zählt zu den bekanntesten Rundtouren am Gardasee.
Distanz: 39,8 km
Höhendifferenz: 1641 hm
GPX
Distanz: 39,8 km
Höhendifferenz: 1641 hm
GPX
Giro del Commune:
Mittelschwere Trailtour im Bereich der Gemeinde auf der Hochebene von Tremosine.
Distanz: 20 km
Höhendifferenz: 720 hm
GPX
Distanz: 20 km
Höhendifferenz: 720 hm
GPX
Tremosine Trailtour:
Vielseitige Trailtour für Biker mit guter Fahrtechnik und Kondition. Highlight: das Panorama am Monte Bestone.
Distanz: 27,1 km
Höhendifferenz: 1060 hm
GPX
Big 3m Enduro:
Ultimativer Enduro-Marathon mit den wichtigsten Trail-Highlights der Region für konditionsstarke Könner.
Distanz: 56,9 km
Höhendifferenz: 2650 hm
GPX