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Vom Pass zur Palme

Text: Günter Kast
10.10.2022

In vier Tagen diagonal durch das Tessin, von seiner westlichsten Ecke am Nufenenpass bis in den Südosten nach Lugano – das alles geht an einem langen Wochenende. Übernachtet wird in drei aussergewöhnlichen Hütten. Gefahren möglichst oft auf feinen Trails. 

Magisch? Episch? – Manchmal sind alle Buchstaben zu hölzern, um zu beschreiben, was das Auge sieht. Um solche Schatzkisten-Momente zu erleben, muss alles stimmen: Jahreszeit, Tageszeit, Wetter. Heute ist so ein Glückstag. Als wir an der Capanna Monte Bar ankommen, ist es schon später Nachmittag. Vor uns streckt der Luganersee seine silberblauen Arme Richtung Süden aus. Gewässer sehen ja bekanntlich überall und jederzeit anders aus. Und heute präsentiert sich der Lago wie eine aristokratische Anrichteplatte, auf der dezent die Sonnenreflexe kredenzt werden – nicht zu aufdringlich, die pure glitzernde Eleganz, gut zum mondänen Lugano passend. Wo der See aufhört und der wolkenlose Himmel beginnt, bleibt offen. Die Elemente verschmelzen, liegen völlig unschuldig und ruhig Seite an Seite.
Als wir mit einem Bier auf der Terrasse anstossen, trägt die leichte Brise den Geruch feuchten Laubes aus den tiefer gelegenen Wäldern zu uns herauf. Er vermischt sich mit dem mediterran-würzigen Duft der Kräuter auf den Alpwiesen, die zum nahen Gipfel des Monte Bar gleich hinter der Hütte führen. Als die Sonne immer tiefer sinkt, steigen wir noch einmal auf die Mountainbikes und drehen noch eine kurze Runde. Dort sieht man sogar ein Stückchen des Lago Maggiore hervorstechen, dahinter baut sich das Monte-Rosa-Massiv auf. Und im Süden könnten wir ohne Dunst sogar die Spitze des Mailänder Doms sehen.

Aussichtsreiche Diagonale

Die Tessiner leben das ganze Jahr mit diesem Outdoor-Kino der Superlative. Für uns, die wir die meisten nördlich des Alpenhauptkamms zu Hause und vor drei Tagen in den hochalpinen Regionen des Kantons gestartet sind, ist es ein seltenes Geschenk. So einladend die Capanna mit ihrem modernen Design auch ist: Wir wollen gar nicht zurück, haben kein Bedürfnis nach Small Talk und zivilisatorischen Annehmlichkeiten. Lange geniessen wir die fast vollkommene Stille. Erst als eine wohlige Schläfrigkeit in unsere Glieder kriecht, steigen wir für heute ein letztes Mal auf die Bikes und rollen zu Lasagne und rubinrotem Merlot. Mit dem beruhigenden Wissen, dass unsere «Trans Ticino» schon jetzt ein voller Erfolg ist. Keine Frage: Das Brüten über Karten und GPS-Tracks hat sich gelohnt!
Uns war ja bekannt, dass das Tessin nicht nur aus Palmen, Uferpromenaden und Fünf-Sterne-Hotels besteht. Dass es da auch ein ziemlich engmaschiges Netz an Hütten gibt, von denen einige echte architektonische Hingucker sind. Jetzt ging es darum, eine möglichst logische Route zu finden: von der westlichsten Ecke des Kantons am Nufenenpass bis in den Südosten nach Lugano. Mit vier Fahrtagen, sodass ein verlängertes Weekend dafür ausreicht. Und mit drei der spannendsten Capanne als Nachtquartier: Corno Gries (vor dem Start), Cadagno und Monte Bar. Lediglich nach der zweiten Etappe würden wir im Tal, in Bellinzona, übernachten. Weil es ja nicht schaden kann, wenn man sich mal etwas länger unter der Dusche schrubbt. Und weil man vielleicht auch mal Werkzeug oder einen Wasserschlauch braucht, um das Velo wieder fit zu machen.
Bei der Routenplanung orientierten wir uns in einem ersten Schritt an den offiziellen MTB-Routen des Tessins. Um die Hütten miteinander zu verbinden, würden wir aber auch nicht als MTB-Strecken ausgewiesene Trails einbauen, um eine sinnvolle Route zu designen und die Etappen annährend gleich lang zu gestalten. Klar, dass sich dabei die eine oder andere Schiebepassage nicht vermeiden lässt. Je nach Fahrkönnen und Kondition. Je nachdem, ob Bio-Bike oder E-Bike zum Einsatz kommen. Am Ende sah auf der Karte alles ganz schlüssig aus. Aber wir wissen ja: Aus so einem Mikroabenteuer mit dem Arbeitstitel «Summit2Sea» durch den südlichsten Schweizer Kanton kann ganz schnell ein Makroabenteuer werden. Aber gerade deshalb lieben wir unseren Sport ja, oder?
Hier geht's lang - der Ursprungsplan wird fortlaufend der Karte überprüft und bei Bedarf angepasst.
Vom Pass zur Palme
Hier geht's lang - der Ursprungsplan wird fortlaufend der Karte überprüft und bei Bedarf angepasst.
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Etappe 1

Von der Capanna Corno Gries zur Capanna Cadagno
Von wegen mediterran - im oberen Val Nedretto zeigt sich das Tessin von seiner alpinen Seite.
Vom Pass zur Palme
Von wegen mediterran - im oberen Val Nedretto zeigt sich das Tessin von seiner alpinen Seite.
Schwächere Rider werden sagen: Die Strecke zeigt ihre Zähne. Könner werden von fahrtechnischen Leckerbissen schwärmen.
Von wegen Sonne und Palmen! Stattdessen: Granit und Gletscherschliff. Als wir am Vorabend des ersten Fahrtages am Nufenenpass die Mountainbikes abladen, faucht uns ein kalter Wind an. Wirklich überrascht sind wir nicht. Der Übergang auf 2478 Metern ist die höchste innerschweizerische Passstrasse. Und dazu eine der jüngsten: Erst seit 1969 ist die einzige direkte Verbindung zwischen dem Wallis und dem Tessin mit dem Auto befahrbar.
Psst, nicht weitersagen! Wir wildern für das Amuse-Gueule in einem fremden Kanton! Um nämlich vom Pass zur Capanna Corno Gries zu kommen, müssen wir auf Walliser Terrain wechseln und ausserdem einen Bergsturz umfahren. Aber die Trail-Route vorbei am königsblauen Griessee lohnt sich allemal, das gleichnamige Horn spiegelt sich auf der Oberfläche des Speichersees. Und dann sind wir am Passo del Corno auch schon wieder im Tessin und zirkeln durch den Steinmannli-Garten zur Hütte. Aber ist das wirklich eine SAC-Unterkunft? Oder doch ein in den Alpen notgelandetes Raumschiff? Möglich ist heutzutage ja alles. Schliesslich flog Star-Trek-Legende William Shatner alias Captain Kirk mit Amazon-Chef Bezos‘ Rakete neulich wirklich ins All, mit 90 Jahren. Die Capanna ist auf jeden Fall ein architektonisch spektakuläres Ufo mit Mega-Aussicht. Und die cremige Polenta führt uns Wärme und Energie für den kommenden Tag zu. Buona notte!
Die Capanna Corno Gries ist ein spektakuläres Bauwerk und ein idealer Startpunkt für unseren Ticino-Cross.
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Die Capanna Corno Gries ist ein spektakuläres Bauwerk und ein idealer Startpunkt für unseren Ticino-Cross.
Am nächsten Morgen sitzen wir schon um sieben Uhr beim Frühstück. Wenn wir jetzt zu Fuss unterwegs wären, wüssten wir: Der hier beginnende Höhenweg Via Alta Idra bringt uns in zwölf Etappen von der Quelle des Flusses Ticino bis zu seiner Mündung in den Lago Maggiore, mit ziemlich exakten Wegzeiten. Wir aber können nur schätzen, wie lange wir für die Etappe zur Capanna Cadagno brauchen werden. Unser Plan sieht vor, dass wir dem oberen Val Bedretto auf der rechten Talseite folgen und dabei stets so hoch wie möglich bleiben. Wir passieren das Kirchlein San Giacomo, der gleichnamige Pass ins Wallis ist nicht weit. Mal flowige, mal knackige Passagen bringen uns zu den Militärbaracken von Stabbiascio und weiter zu den Alpi di Valleggia und di Cristallina. Unsere «Strada alta della Valle Bedretto» hält eine ganze Reihe Überraschungen bereit. Schwächere Rider werden sagen: Die Strecke zeigt ihre Zähne. Könner werden von fahrtechnischen Leckerbissen schwärmen. Tatsächlich ist auf dem oft nur zwei Füsse breiten Trail, der sich hoch über dem Tal entlangschlängelt, Konzentration vonnöten. So sehr die Landschaft auch dazu einlädt, den Blick schweifen zu lassen.
Auf jeden Fall liegen wir gut in der Zeit, als wir noch vor den Skipisten bei Pesciüm den Lenker nach links ziehen und via Cascina Zora ins Tal hoppeln, dem wir bis Airolo am Fuss des Gotthardpasses folgen. Hier beginnt die Leventina, in der es seit der Einweihung des neuen Basistunnels, der längsten Eisenbahnröhre der Welt, noch ruhiger geworden ist. In den Sechzigerjahren herrschte viel Trubel in den Dörfern, von Norden kamen die Gäste in Scharen mit dem VW-Käfer über den Pass. Heute sind zahlreiche Schaufenster in den ehemals glanzvollen Ferienorten Airolo und Faido leer, an vielen Wänden steht  «da vendere», dazu eine Natel-Nummer. Wo einst Kaiserin Sissi übernachtete, gibt's heute Ferien abseits der ausgetretenen Pfade und Entschleunigung. 
Uns fehlt dafür die Musse. Denn nach einer kurzen Espresso-Pause steht noch ein Uphill bevor. Allerdings kommt dieser eher zahm daher. Ein Bergsträsschen bringt uns nach Madrano und Brugnasco und dann weiter zum Ritóm-Stausee am Eingang des Val Piora. Als wir am Ufer entlangcruisen, sehen wir schon unser Ziel für die Nacht: Die Cadagno-Hütte ist keine halbe Stunde mehr entfernt. Und das «Spezzatino di Manzo al Pepe» schon zu riechen.

Etappe 2

Von der Capanna Cadagno nach Biasca

Weil eine Standseilbahn von Piotta fast bis zum Lago Ritóm führt und unser Rifugio mit motorisierten Fahrzeugen erreichbar ist, herrscht deutlich mehr Trubel als auf der Capanna Corno Gries. Auch zahlreiche Mountainbiker checken hier ein, denn die Hütte liegt auf der klassischen MTB-Route 65 «Gottardo Bike», die von Andermatt nach Biasca führt. Die Wirtsleute Eliana und Idalgo Ferretti lassen sich davon nicht aus der Ruhe bringen. Die tibetischen Fahnen vor der modernen Herberge signalisieren: Hier ist buddhistische Gelassenheit angesagt. Alles andere wäre im idyllischen Val Piora mit seinen in voller Blüte stehenden Alpwiesen auch reichlich unangemessen.
Tibetanisches Hochland? Nicht ganz - die Capanna Cadagno liegt auf einem Hochplateau zwischen zahlreichen tieblauen Bergseen.
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Tibetanisches Hochland? Nicht ganz - die Capanna Cadagno liegt auf einem Hochplateau zwischen zahlreichen tieblauen Bergseen.
Am nächsten Morgen schauen wir dennoch etwas sorgenvoll nach oben. Da türmen sich ziemlich dunkle Wolken auf – viel zu früh für die Tageszeit. Und wir wollen doch über den 2375 Meter hohen Passo del Sole. Der macht heute seinem Namen keine Ehre, aber immerhin bleibt es trocken bei dem rustikalen Uphill. Die steilsten Rampen schieben wir, denn wir brauchen noch Körner für später. Am höchsten Punkt des Tages machen wir Pause, geniessen den Blick auf die schroffen Türme des Pizzo Colombe, der es fraglos mit den Dolomiten aufnehmen kann. Dann beginnt die Abfahrt ins Valle Santa Maria. Steinböcke beobachten uns dabei, wie wir die wie von Riesen hingeworfenen Granitblöcke umkurven und über hohe Stufen rumpeln. Wenn wir uns im Alpgelände mal wieder für die falsche Linie entscheiden und mit den Pedalen in den schmal eingeschnittenen Gräben hängen bleiben, schauen sie mitleidig. Glauben wir zumindest. 
Ab der Waldgrenze wird das Terrain steiler, die fahrtechnischen Anforderungen steigen. Wurzelteppiche lassen uns nur wenig Zeit, die Ausblicke auf das sich unter uns öffnende Tal zu geniessen. Noch hält das Wetter. Das ist gut so, denn wir haben nach der Pause in Pianezza nahe Olivone noch einen knackigen Gegenanstieg vor uns. Doch das Schwitzen lohnt sich, denn via Piede del Sasso und Foppa erreichen wir den Brüsacü-Trail, eine der allerbesten Abfahrten im Tessin. Das Wort Brüsacü bedeutet im lokalen Dialekt zwar so viel wie «Verbrenn‘ dir den Hintern», aber ganz so wild ist der Ritt dann doch nicht. Bei Nässe sähe das freilich anders aus. Aber wir sind eben im Tessin – und da regnet es zwar manchmal intensiv, dafür weniger oft.
Der Rest ist Genuss pur. Im Talgrund des Valle di Blenio cruisen wir durch alte Dörfer, in denen sich trutzige Steinhäuser um kleine Plätze mit den obligatorischen Brunnen aus Granit scharen. Am Baustil der Kirchen erkennen wir bereits den italienischen Einfluss, an der Sprache sowieso. Hochdeutsch wird eher verstanden als Schwiizerdütsch. Weil wir noch Kraft und Zeit haben, verzichten wir auf den Bahn-Shuttle und kurbeln die gut 20 Kilometer von Biasca nach Bellinzona mit dem Bike – die Aussicht auf die mediterran anmutenden Subregionen des Kantons treibt uns an.

Etappe 3

Von Bellinzona zur Capanna Monte Bar

Wir geben es zu: Nach den Tagen in der einsamen Bergwelt des Nord-Tessins irritieren uns das fast schon grossstädtische Flair der Kantonshauptstadt Bellinzona und die dichte Bebauung im Tal des Ticino ein wenig. Andererseits sind wir fasziniert, dass man auf so kleinem Raum so vielfältige Landschaften und Kulturen erleben kann. Und das wankelmütige Wetter haben wir auch hinter uns gelassen. Die Sonnenstube der Schweiz macht ihrem Namen jetzt alle Ehre. 2300 Stunden scheint sie im Jahr – das sind 500 mehr als in Zürich, da gibt es nichts zu meckern.
Im Aussteigerdorf Pianturino schiebt man besser - ein Schild mit der Aufschrift «Bici a Mano» fordert unmissverständlich dazu auf.
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Im Aussteigerdorf Pianturino schiebt man besser - ein Schild mit der Aufschrift «Bici a Mano» fordert unmissverständlich dazu auf.
Schnell gewinnen wir auf der östlichen Talseite an Höhe, schrauben uns in den hübschen Kastanienwäldern rund um Robasacco nach oben, einige Trailpassagen inklusive. Die Kastanien geben ein knarzendes Geräusch von sich, wenn wir sie mit unseren breiten Reifen platt rollen. Durch das ehemalige Aussteigerdorf Pianturino schieben wir die Bikes. Das Schild «Bici a Mano» zeigt an, dass die neuen Rustici-Besitzer es schätzen, wenn Mountainbiker die Häuser in minimaler Geschwindigkeit passieren. Es folgen ausgesetzte und nass-rutschige Abschnitte auf schmalen Trails, die wir mit viel Vorsicht befahren, und wo wir auch mal absteigen. Weil wir gut in der Zeit liegen, machen wir einen Extra-Loop auf die Cima di Medeglia: Der Uphill ist zwar steil und ruppig. Aber erstens eröffnet der Gipfel eine grandiose Aussicht auf die Magadino-Ebene. Und zweitens wartet danach ein flowiger Trail im Wiesengelände des Gipfelbereichs, ehe der «Sinkflug» nach Medeglia beginnt.

Im Wiesengelände des Gipfelbereichs beginnt der «Sinkflug» nach Medeglia

Ein Abstecher auf die Clima di Medeglia macht den dritten Tag noch traillastiger.
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Ein Abstecher auf die Clima di Medeglia macht den dritten Tag noch traillastiger.
In Isone legen wir einen Gelato-Stopp ein, denn der Rest der Etappe kennt nur eine Richtung: aufwärts. Jetzt aber sind wir auf der Sonnenseite, die Wurzel-Trails bis Gola di Lago sind nicht mehr so rutschig und machen einen Riesenspass. Trotzdem empfiehlt es sich, die Augen auf den Weg zu richten. Und so fahren wir glatt an den ehemaligen Infanteriewerken vorbei, die das Schweizer Militär hier bei Ausbruch des Zweiten Weltkrieges aus dem Boden stampfte. Die Armee glaubte, im Tessin einen starken Verteidigungsgürtel zu benötigen, um einen Truppeneinmarsch aus Italien aufhalten zu können. Die Abwehrlinie reichte von Ponte Brolla über Indemini, Mezzovico und Gola di Lago bis nach Gandria am Luganersee. Im Gebiet von Gola di Lago, von wo aus sich die Verkehrswege im Luganese beherrschen liessen, wurden sogar drei Infanteriewerke errichtet.
Gegen ein Kettenfahrzeug des Militärs hätten wir gerade nichts einzuwenden. Die Auffahrt zum Motto della Croce ist extrasteil und mit grobem Geröll gespickt. Mit dem Bio-Bike schaffen das nur die wenigsten. Aber wir wissen ja: Ist das Kreuz einmal erreicht, fehlen nur noch wenige Höhenmeter, ehe ein bequemer Schotterweg zur Capanna Monte Bar hinüberleitet. Die Vorfreude auf die 2016 neu gebaute Hütte der SAC-Sektion Ticino könnte grösser nicht sein. Eine aussichtsreichere Lage kann man sich kaum vorstellen: Von der Panoramaterrasse reicht der Blick sogar bis zum weissen Dreieck des Monviso ganz im Südwesten des Alpenbogens.

Etappe 4

Von der Capanna Monte Bar nach Lugano

Der Abschied von dieser Herberge in Traumlage fällt wahrlich schwer. Allerdings nur für kurze Zeit. Denn auf uns wartet der extralange Trail hinüber zum Passo San Lucio. Keine Ahnung, wie oft wir diesen schon gefahren sind. Der Classico macht einfach immer wieder Laune und gehört definitiv zu den besten Routen des Tessins. Am Pass mit dem Kirchlein und der alten Zollstation, der die Grenze zwischen der Schweiz und Italien markiert, gönnen wir uns Kaffee und Kuchen im Rifugio auf der Tessiner Seite.
Das Trail-Feuerwerk ist hier jedoch noch lange nicht zu Ende. Auf dem Weiterweg zur Bocchetta di San Bernardo und zur Capanna Pairolo unterhalb der Denti della Vecchia warten abermals feine Bike-Trails in den Buchenwäldern. Der dichte Laubteppich wirkt dabei wie ein zusätzlicher Dämpfer. Zu uns hinzugestossen ist inzwischen Stefano Bergamaschi, der 2017 gemeinsam mit Marco Steiger BikePort gegründet hat, um die MTB-Infrastruktur und das Guiding-Angebot im Tessin zu optimieren. Als studiertem Geografen und Erdkundelehrer ist es Stefano ein Anliegen, immer wieder neue Trail-Varianten auszutüfteln und Gästen «diese tolle Landschaft zu zeigen, an der ich mich selbst nie sattsehen kann».
Mit dem beruhigenden Wissen, dass wir diese «Trans Ticino» quasi im Sack haben, lassen wir es locker angehen. Gemütlich cruisen wir durch die Dörfer des Val Colla: rote Geranien auf grauem Stein, Wäscheleinen mit bunten Laken im Vorgarten, und immer wieder typische Tessiner Grotti – früher natürliche Kühlschränke in Felsgewölben, heute rustikale Lokale, in denen man sich auf Tischen aus Stein regionale Gerichte wie zum Beispiel Polenta mit Alpkäse oder Braten schmecken lässt. Kein Wunder, dass es sich hier viele Schweizer gut gehen lassen, das milde Klima und die leckere Küche geniessen.
Allmählich werden aus den Trails Schotterwege, aus Schotter wird Asphalt, auf dem wir dem Azurblau des Luganersees entgegenrauschen. In Gedanken lassen wir die vergangenen vier Tage Revue passieren. «Region der Kontraste» – mit solchen Slogans werben viele, zu viele touristische Destinationen um Gäste. Auf das Tessin trifft es tatsächlich zu. Fast unwirklich ist die Erinnerung an die hochalpine Szenerie am Nufenenpass und an die schroffen Gipfel des Alto Ticino. Hier, am See, geben Sonnenanbeter und Palmen den Ton an. Wir staunen über die imposanten Belle-Epoque-Villen und die Edelkarossen, die an der Uferstrasse entlangschnurren.
Keine Frage: Es wird allmählich Zeit für den Aperitivo. Wie wär’s mit einem Bianco di Merlot aus dem Mendrisiotto? Salute!
Wenn Lugano bereits im Schatten liegt, tauchen die letzten Sonnenstrahlen die Wiesen rund um die Cappana Monte Bar in goldenes Abendlicht.
Vom Pass zur Palme
Wenn Lugano bereits im Schatten liegt, tauchen die letzten Sonnenstrahlen die Wiesen rund um die Cappana Monte Bar in goldenes Abendlicht.

Etappe 1

Route 
Nufenenpass – Griessee – Passo del Corno – Capanna Corno Gries –  
Stabbiascio – Alpe di Valleggia – Alpe di Cristallina – Airolo – Lago Ritóm  
 
Varianten:  
Diverse Abfahrten ins Val Bedretto sind möglich, um die Route zu verkürzen. 
 
Details 
Schwierigkeit: Fahrtechnik 3 
Distanz: 50,6 km 
Höhendifferenz:  1830 m,  2350 m 
 
Übernachten 
Vor der Etappe in der Capanna Corno Gries (corno-gries.ch), nach der  
Etappe in der Cappana Cadagno  
(capannacadagno.ch) 
 
Karten 
Bundesamt für Landestopographie  
swisstopo, Kartenblatt 265 Nufenenpass 1:50'000, Kartenblatt 266 V.  
Leventina 1:50'000
Vom Pass zur Palme

Etappe 2

Vom Pass zur Palme
Route 
Capanna Cadagno – Passo del Sole – Alpe Stabbio – Alpe Pian Segno – Centro Sci Nordico Campra – Pianezza – Piede del Sasso – Foppa – Brüsacü-Trail – Corzonesco – Biasca –  Bellinzona (per Bahn) 
 
Varianten:  
Wer abkürzen will, spart sich die Auffahrt zum Brüsacü-Trail und bleibt unten auf der MTB-Route 367, welche das ganze Valle di Blenio durchzieht. Die Strecke Biasca – Bellinzona vorzugsweise mit dem Zug zurücklegen. 
 
Details 
Schwierigkeit: Fahrtechnik 3 
Distanz: 52,5 km 
Höhendifferenz:  1250 m,  2375 m 
 
Übernachten 
verschiedene B&Bs und Hotels in Bellinzona 
 
Karten 
Bundesamt für Landestopographie  
swisstopo, Kartenblatt 266 V.  
Leventina 1:50'000

Etappe 3

Route 
Bellinzona – Camorino – Vigana – Robasacco – Medeglia – Isone – Gola di Lago – Motto della Croce – Capanna Monte Bar 
 
Varianten:  
Abstecher auf die Cima di Medeglia (plus ca. 300 hm) 
 
Details 
Schwierigkeit: Fahrtechnik 3 
Distanz: 32,7 km 
Höhendifferenz:  2000 m,  630 m 
 
Übernachten 
capannamontebar.casticino.ch 
 
Karten 
Supertrail Map, Kartenblatt Lugano 1:50'000, outdoor-mediashop.com 
Bike Explorer, Kartenblatt Sottoceneri 1:50'000, bike-explorer.ch
Vom Pass zur Palme

Etappe 4

Vom Pass zur Palme
Route 
Cappana Monte Bar – Piandanazzo  
– Passo San Lucio – Bocchetta di San Bernardo – Capanna Pairolo – Cioascio – Sonvico – Dino – Stampa – Lugano 
 
Varianten:  
Abstecher auf den Monte Brè, den Hausberg von Lugano, wo weitere tolle Trails warten 
 
Details 
Schwierigkeit: Fahrtechnik 3 
Distanz: 33 km 
Höhendifferenz:  875 m,  2200 m 
 
Übernachten 
verschiedene B&Bs und Hotels in  
Lugano und Umgebung 
 
Karten 
Supertrail Map, Kartenblatt Lugano  
1:50'000, outdoor-mediashop.com 
Bike Explorer, Kartenblatt Sottoceneri 1:50'000, bike-explorer.ch

Tessin Hütten

Im Tessin gibt es 42 bewartete Hütten. Nicht alle sind mit dem MTB erreichbar, aber viele eben doch. Mit der Karte und der Liste auf dieser Seite findet ihr sie. Wer den Umgang mit Karten und GPS-Daten beherrscht, kann sich so seine eigene «Trans Ticino» zusammenstellen. Der Fantasie sind bei der Tourenplanung keine Grenzen gesetzt. 
 
Infos: ticino.ch/berghuetten 
Tourinfos: ticino.ch/bike 

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