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Nino Schurter

23.09.2019

Solange du Spass hast, machst du weiter

Im September 2019 feierte Nino Schurter seinen achten Weltmeistertitel – den fünften in Folge. Auf dem Höhepunkt seines Erfolges denkt der Bündner noch lange nicht ans Aufhören. Was treibt ihn an? Das Interview mit einer lebenden Schweizer Legende.
Foto: Armin M. Küstenbrück
Nino Schurter
Nino, mal ganz unabhängig vom Mountainbike: Was bedeuten Berge für dich?
Heimat. Ich bin in den Bergen aufgewachsen, in Tersnaus, einem kleinen Bergdorf im Valser Tal. Für mich gehören die Berge zur Heimat dazu.

Aber nicht nur mit dem Bike?
Nein, nicht nur mit dem Bike. Zu Beginn sind wir viel Skifahren gegangen, auf diese Weise habe ich die Berge zuerst kennengelernt.

Dann warst du viel auf den Pisten in Obersaxen?
Ich war in der JO Vella (Anmerkung der Redaktion: Jugendorganisation des lokalen Skiclubs), von dort gehst du über den Berg nach Obersaxen. Dort haben wir begonnen Ski zu fahren. Durch das JO bin ich erst zum Mountainbike gekommen. In Ilanz war der Kilometer-Test, unser erstes Velorennen (schmunzelt).  

Nachdem du den Carlo Janka nicht beim Skifahren schlagen konntest, hast du die Sportart gewechselt?
Ja, wir sind gegeneinander Rennen gefahren. Irgendwo gibt’s noch eine Rangliste, auf der Carlo Janka und ich zusammen drauf sind.

Auf der Rangliste oder auch auf dem Podest?
Nein, der Carlo war damals schon viel besser als ich.

Du hast deine Heimat Tersnaus angesprochen, da wohnen keine 100 Leute. War das für dich als Kind eher eine Strafe oder das Paradies?
Es werden immer weniger, damals waren es noch etwa 50 Leute, jetzt sind es vielleicht noch 30. Ich habe mich als Kind nie gefragt, ob das jetzt besser ist. Als Kind ist man einfach dort. Als Teenager war es dann etwas schwieriger. Wenn du in den Ausgang möchtest, dann bist du dort hinten schon ein wenig «ab vom Schuss». Aber wir hatten super Eltern, die haben uns überall hingefahren.

Heute wohnst du mit deiner Familie in Chur.
Dass wir in Chur sind, hat mit meinem Job zu tun. Als ich begonnen habe, professioneller zu trainieren, wurde mir Tersnaus zu abgelegen. Du musst immer in dieses Tal rein und raus. Schwierig wird es auch, wenn man viel auf dem Rennvelo trainiert und auch mal im Flachen fahren möchte. Ansonsten hätte ich auch gern in Flims oder in Laax gewohnt. Aber vom Training her wäre das sehr unpraktisch. Und der Winter ist viel länger. Chur ist für mich der perfekte Ort. Man hat das gesamte Jahr ein mildes Klima und kann mit nur wenigen Ausnahmen das ganze Jahr radfahren. Und in 20 Minuten bin ich auf der Lenzerheide. Ich habe also die Berge und bin trotzdem im Tal.

In einem Interview nach der Geburt deiner Tochter hast du gesagt, dass es auch wichtig ist, nicht nur Sportler sondern auch Familienvater zu sein. Gelingt dir das gut?
Ich bin ziemlich zufrieden. Wenn man Kinder hat, fällt es einem fast leichter, zuhause auch mal nicht der Athlet zu sein. Da fallen Sachen an, die einfach gemacht werden müssen, da ist man dann kein Sportler mehr. Gerade als Spitzensportler dreht sich schon alles um die Leistung, den Sport. Da ist es oft nicht einfach zu switchen, und auch mal ganz normal zu sein. Mittlerweise haben wir was das betrifft eine recht gute Balance. Aber ist schon auch wichtig, dass man sich Zeit nimmt für Ferien, auch für Sachen die dann überhaupt nichts mit Sport zu tun haben.

Als Cross-Country-Racer hast du alles, teils sogar mehrfach, gewonnen. Was treibt dich mit 32 Jahren noch an, wieder für eine neue Saison zu trainieren?
Es ist mein Job. Ich mache das, weil es meine Aufgabe ist. Aber es macht mir auch immer noch Spass. Im Sport musst du immer alles geben, sonst reicht es irgendwann nicht mehr. Aber für mich gibt es kein schöneres Leben als das eines Spitzensportlers. Darum möchte ich das auch noch so beibehalten. Das bedingt dann halt auch, dass man sich manchmal quält. Das gehört dazu.
Zufriedener Familienvater: «Wenn man Kinder hat, fällt es einem fast leichter, zu Hause auch mal nicht der Spitzen-Athlet zu sein.»
Nino Schurter
Zufriedener Familienvater: «Wenn man Kinder hat, fällt es einem fast leichter, zu Hause auch mal nicht der Spitzen-Athlet zu sein.»
Bisher kam dir also noch nie der Gedanke, dass es besser wäre, ganz oben abzutreten?
Klar habe ich diesen Gedanken schon gehabt. Irgendwann wird der Moment kommen, wo ich sage «Jetzt ist fertig!». Aber wenn man erfolgreich ist, dann ist es auch naheliegend, dass man weitermacht. Ich finde nicht, dass ein Sportler aufhören muss, wenn er ganz oben ist. Ich finde, du musst dann aufhören, wenn du keinen Spass mehr daran hast. Aber das ist jetzt auch einfach gesagt. Vermutlich hat man ziemlich schnell keinen Spass mehr, wenn man nicht mehr top ist. Aber wenn man trotzdem noch Freude daran hat und weitermachen will, glaube ich nicht, dass den Menschen nur die letzten Rennen in Erinnerung bleiben, sondern die, bei denen du erfolgreich gewesen bist.

Reizt es dich, nach so vielen Jahren auf der Cross-Country-Strecke die Disziplin zu wechseln, und andere Rennformate auszuprobieren?
Ja, Sachen wie das Cape Epic, wo ich dieses Jahr zum dritten Mal starten werde. Überhaupt kann ich mir schon vorstellen, dass ich mehr Langdistanzrennen mache. Oder mal ein Enduro-Rennen. Und wenn ich mal aufhöre, wird es eh nicht so sein, dass ich auf einmal sage: «Zack, jetzt höre ich auf!». Das wird ein Prozess werden, wo ich andere Rennen fahre, aber immer weniger Weltcuprennen. Es gibt so viele coole Velorennen, für die ich momentan gar keine Zeit habe.

2019 gibt es erstmals eine E-Mountainbike-WM, in der EWS wird es auch eine motorisierte Kategorie geben. Wie stehst du dazu?
Ehrlich, rein für den Wettkampf finde ich das kurios. Ich frage mich, wie die UCI das kontrollieren will. Die Motoren kann man aufmachen. Wie wollen sie das bei jedem Bike kontrollieren, ob der Motor nun offen ist oder limitiert? Dazu kommt der Unterschied zwischen den amerikanischen und europäischen Versionen. Amerikanische E-Bikes sind auf 30 km/h limitiert, in Europa sind es maximal 25 km/h. Wie willst du da zusammen ein Rennen fahren? Ich glaube nicht, dass ich einmal E-Bike-Rennen fahren werde. Ausser Scott kommt und sagt, das musst du jetzt unbedingt machen (lacht).
Ansonsten habe ich überhaupt nichts gegen E-Bikes, wir haben auch eins zu Hause. E-Bikes sind eine super Sache, wenn jemand nicht so fit ist, dass er mit den Kollegen mithalten kann, oder für Paare. Ich brauche das E-Bike hauptsächlich für den Anhänger, wenn ich mit meiner Tochter unterwegs bin,. Dafür finde ich es super. Aber Rennen fahren, damit kann ich mich nicht anfreunden. Aber wer weiss, vielleicht ändert sich das auch noch.

Du schreibst auf deiner Homepage, du seist Gadgets-Fan. Wie darf man sich das vorstellen?
Ich mag so Elektronik-Zeug wie meine Drohne oder GoPros. Alles Spielzeug (lacht). Aber auf der anderen Seite gehört das zu meinem Beruf, dass ich bestimmte Erlebnisse über meine Kanäle teile und meine Produkte zeige. Das wird für einen Athleten immer wichtiger. Ich habe viele Partner, die sagen, sie wollen zehn Posts von mir, wo man auch die Produkte sieht.

Über 355'000 Follower auf Facebook, mehr als 386'000 auf Instagram. Ist diese Popularität über die sozialen Medien auch eine Möglichkeit, gut vom Sport leben zu können?
Das gehört dazu. Nur sehr wenige Sportler können sich noch erlauben, da nicht dabei zu sein. Ich bekomme teilweise von Sponsoren ein Ranking, wo gelistet ist, welche Reichweite ich gegenüber meinen Kollegen im Bikesport habe. Das ist ein sehr wichtiger Teil der Partnerschaft.

Was das Geldverdienen betrifft, wird im Bikesport nach den Top 5 die Luft sehr dünn. Viele haben es schwer, als Profisportler durchzukommen.
Wir sind Einzelsportler. Die Mannschaft braucht es nicht wirklich. Die, die gewinnen können, verdienen was, und dann nimmt es rapide ab. Auf der anderen Seite hat unser Sport in den letzten zwei Jahren einen richtigen Boom erlebt. Nehmen wir die WM in der Lenzerheide, die Zuschauer, die TV-Einschaltquote: Das braucht jetzt nochmal zwei Jahre, dann gibt es auch wieder mehr Teams, die sich breiter aufstellen können. Einzelsportarten sind immer hart. Unser Glück ist, dass wir viele Produkte präsentieren dürfen. Wir haben ein Bike mit vielen Teilen dran, wir haben Schuhe, Handschuhe, Brille, Helm. Und wir sind recht frei, was wir auf dem Trikot tragen. Das gibt dann wenigstens ein bisschen was. Wenn man in die Leichtathletik schaut, geht es dort den meisten Sportlern weitaus schlechter – ausser du bist gerade ein Weltstar.

Viele Biker haben auf die Strasse gewechselt. Ist das eine Option, um als Individualsportler mit einem Team erfolgreich zu sein?
Ich war immer Mountainbiker, für mich ist das der schönere Sport. Zu den Ausdauerfaktoren kommt hier noch die Technik, es braucht mehr Kraft und man muss als Athlet vielseitiger sein. Aber ja, auf der Strasse kann man schneller in ein professionelleres Umfeld kommen. Und wenn man top ist, ist die Aussicht grösser, dass man besser verdient. Aber schlussendlich fängt man ja nie mit einem Sport an, weil man denkt, man macht das jetzt professionell. Man fängt an, weil es Spass macht, oder?

Dein Bruder Mario sitzt auch sehr gut auf dem Bike, und auch dein Vater, der dir bei der Fahrtechnik bestimmt einiges mitgeben konnte. Gab es da einen internen Familien-Wettbewerb?
Ja, mein Bruder, mein Vater und ich hatten immer einen Wettbewerb am Laufen, wer gerade besser ist. So haben wir uns auf eine spielerische Art einfach immer weiter gepusht und verbessert, was ich vielleicht allein so nicht gemacht hätte.
Die Vielfalt macht's: Schurter profitiert von anderen Sportarten wie Langlaufen oder Skitourengehen.
Foto: Gideon Heede
Nino Schurter
Die Vielfalt macht's: Schurter profitiert von anderen Sportarten wie Langlaufen oder Skitourengehen.
Freude und Spass sind also das zentrale Elemente, wenn du bisher auf deine Karriere zurückblickst?
Am Anfang sicher, da habe ich noch gar nicht das Ziel vor Augen gesehen oder erkannt, dass ich das auch mal professionell machen könnte. Mehr nach dem Motto: Was machen wir nach der Schule? Auf was hab ich gerade Lust? Auch das Clubtraining, was immer Spass gemacht hat, zusammen mit den anderen Kids zum Biken gehen. Ohne das Gefühl zu haben, das ist jetzt Training.

Heute bist du meist der Gejagte. Hinter dir steht ein Feld mit Fahrern, die alle auf eins fahren wollen. Wie gehst du mit dem Druck um, kannst du das ausblenden?
Ich bekomme es ziemlich gut hin, diesen Druck umzukehren. Bei einem grossen Rennen wie bei der WM in der Lenzerheide sehe ich die Chance, etwas Grosses daraus zu machen. Diese Rennen sind für mich die schönsten. Dann weiss ich, jetzt geht es wirklich um etwas.

Du ziehst die Energie aus dem Event, aus dem Lärm des Publikums?
Ja, das gibt mir Power, aber das muss man lernen. Am Anfang hast du vielleicht Angst, weil viele Leute da sind, oder vor deinen Gegnern. Das sind alles Energieräuber. Die sind alle nicht hilfreich, um deine Bestleistung abzurufen. Aber mit den Jahren gibt mir das mehr Energie. Ich kann mehr aus mir rausholen, wenn ich weiss, jetzt geht es um was wirklich Wichtiges.

Hörst du in deinem Alter und mit deiner Erfahrung noch mehr auf deinen Körper?
Ich habe immer das Gefühl, ich muss das Bestmögliche abliefern. Aber auch mal auf den Körper zu hören, ob das jetzt zu viel ist oder nicht, das ist schwierig. Dabei ist es das allerwichtigste, auch mal zu sagen: Jetzt machen wir weniger. Viele machen den Fehler, noch mehr und noch mehr zu machen. Und auf einmal ist die Leistung nicht mehr da.

Profitierst du als Radsportler von den anderen Sportarten?
Von allen Sportarten, die du als Kind gemacht hast, profitierst du auch später. Wie Klettern, Judo und solche Sachen. Ich profitiere sehr vom Wintertraining, wo ich auch mal auf den Langlaufskiern stehe oder Skitouren mache. Das ist gut für den Kopf. Andere Athleten, die zum Beispiel in Kalifornien wohnen, fahren das ganze Jahr nur Velo. Ich glaube, ich hätte echt Mühe damit. Wenn du immer nur dasselbe machst, bleibst du irgendwann stehen.

Wenn du nicht trainierst und die Saison ist vorbei und du hast zwei Stunden: Scott Spark oder Ransom?
Das Ransom (lacht). Nach der letzten Saison habe ich viele coole Touren mit dem Ransom gemacht. Für die habe ich während dem Jahr sonst keine Zeit. Wie die Bahnentour hier von Chur aus. Mit der Brambrüesch-Bahn rauf, nach Churwalden, dann alle Trails in Lenzerheide und Arosa. Und dann vom Weisshorn nach Chur zurück. Das sind dann gut 8000 Höhenmeter nur abwärts.

In der Off-Season treffen dich die Leute also rund um Chur und Lenzerheide auf den Trails?
Ja, da war ich nur auf dem Ransom unterwegs. Und hab auch immer mal wieder die Gondel gebraucht. Das macht mir mit am meisten Spass. Wenn ich jetzt nur das machen würde, würde ich aber auch mein Cross-Ccountry-Bike vermissen. Heutzutage kann man ja auch mit einem XC-Bike ziemlich viel machen.

Hast du neben dem Biken Sachen, die dich faszinieren, für die du brennst?
Jetzt, in der aktiven Zeit, hast du gar keine Zeit, viel anderes zu machen. Das müssen meist alles Sachen sein, die du mit dem Sport vereinbaren kannst. Guter Kaffee, eine gute Kaffeemaschine, das ist schon etwas was mir Freude macht. Immer wieder an den Einstellungen rumtüfteln. Ich finde es ein cooles Hobby, einen guten Kaffee zu machen. Keiner, der einfach per Knopfdruck rauskommt, sondern richtig aus einer schönen Kaffeemaschine.

Gibt es schon einen Masterplan für die Zeit nach deiner Karriere?
Bis jetzt habe ich keinen Plan. Aber ich habe Ideen. Aber ich werde das noch ein paar Jahre machen, dann wird das ein schleichender Übergang sein, währenddessen ich vielleicht noch andere Rennen fahren werde, vielleicht auch noch mehr Zeit habe für Videoprojekte. Aber dann möchte ich mir auch ein wenig Zeit geben, um ein bisschen Abstand zum Rennsport zu gewinnen. Aber ich bin schon froh, dass ich in der Situation bin, zu sagen, ich schaue ein bis zwei Jahre lang, was ich so machen will.
Zwei Schweizer in Süd­afrika: Mit Lars Forster ­gewinnt Nino Schurter Ende März das Cape Epic – mit acht Minuten Vorsprung.
Foto: Gustav Klotz
Nino Schurter
Zwei Schweizer in Süd­afrika: Mit Lars Forster ­gewinnt Nino Schurter Ende März das Cape Epic – mit acht Minuten Vorsprung.

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